[SAV-newsletter] „Ohne Arbeitskampf geht es nicht“ - Ein Gespräch mit zwei Kollegen der „streikenden Opelaner“
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Mo Dez 13 16:05:05 CET 2004
„Ohne Arbeitskampf geht es nicht“
Ein Gespräch mit zwei Kollegen der „streikenden Opelaner“.
Am 10. Dezember sprachen Jürgen Rosenthal und Jürgen Kreutz auf einer
Veranstaltung der Wahlalternative Berlin-Pankow zum Streik der
Opel-Beschäftigten im Oktober 2004. Wenige Tage zuvor hatten
Geschäftsleitung und Betriebsrat ihre Übereinkunft zum Arbeitsplatzabbau
bei der Adam Opel AG veröffentlicht. Sascha Stanicic sprach für
www.sozialismus.info mit den beiden langjährigen Opel-Arbeitern über das
Verhandlungsergebnis, die Rolle der Betriebsrates und ihre unerwartete
Probleme eine Betriebsgruppe der WASG zu bilden. Beide Kollegen sind
Mitglieder der IG metall und haben eine wichtige Rolle beim
siebentägigen Ausstand der Belegschaft im Oktober gespielt.
Frage: In den letzten Tagen ist die Vereinbarung zwischen
Geschäftsleitung und Betriebsrat bekannt geworden, die unter anderem die
Einrichtung von Beschäftisgungsgesellschaften vorsieht. IG
Metall-Funktionäre gewinnen dieser Vereinbarung viel Positives ab und
haben sie als „cleveren Deal“ bezeichnet. Wie seht Ihr das?
Jürgen Rosentahl: Für mich ist das kein cleverer Deal von der IG Metall
und dem Betriebsrat. Wir standen im Oktober eine Woche vorm Tor, weil
wir betriebsbedingte Kündigungen verhindern wollten. In den sieben
Wochen seitdem haben Betriebsrat und IG Metall nichts unternommen. Jetzt
geben sie dem Kind nur einen anderen Namen – Auffanggesellschaft. Eine
Auffanggesellschaft bedeutet Kündigung auf Raten. Diese soll ab Januar
2005 ein Jahr in Bochum existieren. Wir bekommen dann noch 85 Prozent
von unserem jetzigen Lohn. Nach einem Jahr kommt dann die
Arbeitslosigkeit, denn es kann sich niemand vorstellen, dass 3.600
Beschäftigte eine Qualifizierung erhalten mit der sie auf dem
Arbeitsmarkt, gerade in Bochum und Umgebung, eine Stelle finden könnten.
Jürgen Kreutz:Die Darstellung des Verhandlungsergebnisses ist außerdem
eine Lüge, denn betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen.
Wenn keine 3.600 Kollegen gefunden werden, die freiwillig in die
Auffanggesellschaft wechseln, wird mit Beteiligung des Betriebsrates
eine Vermittlungsstelle einberufen, die entscheiden soll, wer seinen
Arbeitsplatz bei Opel verliert, in die Auffanggesellschaft wechseln muss
und damit auch keinen Anspruch mehr auf eine Abfindung hat.
F: Wie wäre Eurer Meinung nach die jetzt eingetretene Situation zu
vermeiden gewesen?
JR: Wir hätten unseren Widerstand im Oktober nicht vom Betriebsrat
untergraben lassen dürfen. Wir haben den Fehler gemacht den Arbeitskampf
aufzugeben und den Ball an den Betriebsrat zurück zu geben. Leider hat
die Mehrheit der Belegschaft geglaubt der Betriebsrat würde in
Rüsselsheim vernünftig verhandeln und für uns etwas raus holen. Das war
aber nicht der Fall. Der Betriebsrat hat die sieben Wochen seit Ende des
Ausstandes nur benutzt, um die Belegschaft weiter unter Druck zu setzen,
zu spalten und in Angst zu versetzen. Wir hätten im Oktober den Streik
gar nicht erst beenden sollen und spätestens am Donnerstag als die
Auffanggesellschaft angekündigt wurde, hätte die Belegschaft wieder auf
die Straße gehen müssen.
JK: Der Betriebsrat hat in den letzten Wochen mehrmals erklärt, dass die
sogenannte Informationsveranstaltung vom Oktober nur unterbrochen wurde
und das jederzeit die Möglichkeit bestehe die Kampfhandlungen, wenn man
sie denn so nennen will, wieder aufzunehmen. Davon hat er gehörigen
Abstand genommen, ist quasi eingebrochen und bezeichnet die jetzt
gefundene Lösung inklusive der Auffanggesellschaft und Abfindungen als
gutes Verhandlungsergebnis.
F: Nun ist die sogenannte Informationsveranstaltung im Oktober, also der
Streik, auch nicht auf Initiative des Betriebsrates oder der IG Metall
zustande gekommen. Wieso ist es am Donnerstag nicht zu ähnlichen
spontanen Aktionen gekommen?
JR: Wie schon gesagt hat der Betriebsrat gemeinsam mit der
Geschäftsleitung sieben Wochen lang daran gearbeitet die Belegschaft zu
spalten. Er hat die Unentschlossenen, die auch im Oktober dafür
verantwortlich waren, dass die Arbeit wieder aufgenommen wurde, in Angst
und Schrecken und in Ungewissheit versetzt. Man sollte auch den
Zeitpunkt kurz vor Weihnachten nicht vergessen, die Angst jetzt
arbeitslos zu werden. Das wurde vom Betriebsrat, der die Funktion eines
Co-Managers spielt, genutzt. Er hat alles daran gesetzt zu verhindern,
dass es wieder zum Arbeitskampf kommt.
JK: Ich denke, dass die Belegschaft Angst bekommen hat, weil ein
nächster Arbeitskampf härter geworden wäre und mit größerer Konsequenz
hätte geführt werden müssen. Das haben sich viele Kollegen leider nicht
zugetraut. Aber ich meine: genau das ist notwendig um die Arbeitsplätze
zu sichern und auch längerfristig die Zukunft unserer Familien, Kinder
und auch Enkel in Bochum abzusichern. Wir hätten durch Kampfmaßnahmen
sicherlich bessere Ergebnisse erzielen können, als die, die uns jetzt
präsentiert werden.
F: Nun werden ja nicht nur die Kolleginnen und Kollegen betroffen sein,
die in die Auffanggesellschaft wechseln sollen, sondern alle anderen
werden mit Lohnkürzungen und anderen Einschnitten konfrontiert. Hat die
IG Metall oder der Betriebsrat dazu Position bezogen, Euch darauf
vorbereite?. Und denkt Ihr, dass diese Angriffe zu einer gemeinsamen
Gegenwehr führen können?
JR: IGM und Betriebsrat haben uns sieben Wochen lang überhaupt nicht
informiert. Der Betriebsrat hat es geschafft die Kollegen, die die
Belegschaft immer wieder darauf hingewiesen haben, was auf sie zukommen
wird, in ein schlechtes Bild zu rücken. Wir haben gesagt, dass
betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen werden und es zu
Lohnkürzungen kommen wird. Wir haben versucht die Kollegen zu
informieren und ihnen die Wahrheit gesagt. Der Betriebsrat hat es aber
geschafft nun Vorwürfe gegen uns zu streuen, obwohl wir nur die Wahrheit
gesagt haben. Wir werden jetzt als Verräter hingestellt. Die letzten
sieben Wochen wurden dazu genutzt sich auf die Kollegen einzuschießen,
die den Streik organisiert und geführt haben und die aus Sicht des
Betriebsrats die Möglichkeit hätten einen neuen Streik anzustoßen. Ich
selber mache jetzt die Erfahrung, dass Kollegen, mit denen ich 15 Jahre
zusammen arbeite, nicht mir mir reden. Die Taktik des Betriebsrats hatte
leider einen gewissen Erfolg. Das ist eigentlich absurd, denn wir haben
die Kollegen darauf hingewiesen, was auf sie zukommt. Wir wussten, dass
einige die Wahrheit nicht vertragen konnten und hatten gehofft, dass
sie, wenn die Wahrheit auf dem Tisch ist, wieder vors Tor ziehen. Das
war jetzt leider nicht so. Ich weiß nicht, was noch passieren muss,
damit die Kollegen endlich wach werden. Vielleicht braucht es auch noch
etwas Zeit und Weihnachten muss erst einmal verstreichen. Es wird sicher
nicht ausreichend Freiwillige für die Auffanggesellschaft geben. Wenn
jetzt schon die Namen genannt würden, wäre die Situation sicher anders.
Die Listen existieren ja, aber uns werden die bitteren Pillen Stück für
Stück verabreicht. Ich hoffe, dass die Kollegen sich über die Feiertage
überlegen, welche Situation jetzt entsteht und wenn dann die
Namenslisten für die Auffanggesellschaft bekannt werden, wach werden und
dann einen Arbeitskampf aufnehmen. Denn ohne geht es nicht.
JK: Ich denke, dass es ein zu starkes Obrigkeitsdenken unter den
Kollegen gibt, wovon auch der Betriebsrat profitiert. Dadurch ist auch
das unrühmliche Ende des Streiks zu erklären, weil zu viele Kollegen dem
Betriebsrat Glauben geschenkt haben, er setze sich für ihre Interessen
ein. Und zu viele Kollegen können und wollen sich nicht vorstellen, dass
genau diese Betriebsräte es mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen.
F: Welche Vorwürfe werden gegen Euch gestreut. Welche Gefahr soll von
Euch ausgehen?
JR: Die Gefahr aus Sicht des Betriebsrates besteht darin, dass wir
Informationen haben, die wir bekannt machen, bevor er es macht. Die
Gefahr besteht aus Sicht des Betriebsrates nicht nur darin, dass wir im
Oktober vorm Tor standen, sondern uns auch organisiert haben. Dazu kam,
dass wir mit dem ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Peter Jaszyk
versucht haben, das auch über die Wahlalternative auf eine politische
Ebene zu tragen. Das missfällt dem Betriebsrat auch. Jaszyk hat eine
große Autorität in Bochum und auch da hatte der Betriebsrat Angst vor
der Wirkung. So gab es auch Vorwürfe gegen Jaszyk, er verbreite Lügen.
Wenn der Betriebsrat konsequent unsere Interessen vertreten würde, würde
die Belegschaft wie ein Mann hinter ihm stehen und ihm auch gegen den
Druck der Geschäftsleitung den Rücken stärken. Da das aber nicht der
Fall ist und sollte der Betriebsrat im Januar so weiter machen, sollten
wir die Initiative für Neuwahlen zum Betriebsrat ergreifen. Wir sollten
uns nicht weiter verraten und verkaufen lassen.
JK: Uns kann man lediglich vorwerfen unverblümt die Wahrheit zu
verbreiten und viele Kollegen wollen die Augen vor der Wahrheit
verschließen. Man konnte diese Entwicklung voraussehen. Dazu bedarf es
keiner hellseherischen Fähigkeiten.
F: Eure Darstellung erinnert an einen Zwei-Fronten-Krieg – gegen die
Geschäftsleitung und den Betriebsrat. Wie führt Ihr diese
Auseinandersetzung, welche Schritte ergreift ihr um kritische Kollegen
zu organisieren?
JR: Es gibt mehrere Gruppierungen, die nebeneinander gearbeitet haben
und versucht haben den Betriebsrat unter Druck zu setzen. Diese drei
Gruppierungen – Konkret-Gruppe, GOG (Gegenwehr ohne Grenzen) und die
streikenden Opelaner (so haben wir uns genannt, die wir noch keine
Betriebsgruppe sind) - müssen zusammen kommen. Der Betriebsrat muss
merken, dass wir gemeinsam arbeiten. Dazu gehören auch Mitglieder des
Betriebsrates, die dort in der Minderheit sind. Wir müssen auch das
handeln des Betriebsrates während und nach dem Ausstand dokumentieren
und veröffentlichen und erklären, warum eine Neuwahl nötig ist. Das
wichtigste ist die drei Gruppen an einen Tisch zu bringen und an einem
Strang zu ziehen.
JK: Müssen damit fortfahren die Kollegen mit der Wahrheit zu
konfrontieren. Die Kollegen müssen eigentlich zugeben, dass wir schon
vor Wochen vorausgesagt haben, was jetzt eingetreten ist. Wir sind keine
Propheten, aber wir haben die Zeichen richtig erkannt. Jeder muss
begreifen, dass man jetzt nach acht Wochen Verhandlungen vor vollendete
Tatsache gestellt wird ohne dass für die Belegschaft etwas dabei
herausgekommen wäre.
F: Nicht nur Opel Bochum ist von Arbeitsplatzvernichtung und
Lohnkürzungen betroffen. Seht ihr die Möglichkeit Kämpfe zu verbinden?
JR: Ich habe schon zwei Veranstaltungen in anderen Städten mitgemacht
und Kollegen aus anderen Betrieben gesagt, dass man zusammen stehen
muss. Wir knüpfen Kontakte und prüfen die Möglichkeit Treffen von
kämpferischen Kollegen durchzuführen und zu erreichen, dass wir zusammen
stehen. Wir sind ja nicht die einzigen, die ausgebeutet und verarscht
werden. Die kämpferischen Kollegen müssen wir an einen Tisch bringen.
Damit die Gewerkschaftsspitzen auch sehen, dass sich die kämpferischen
Kollegen vereinigen. Dann haben wir eine Chance auch große Arbeitskämpfe
zu erreichen. Denn wir müssen gemeinsam kämpfen. Alleine hat man
verloren. Wir hätten auch im Oktober den Kampf nicht alleine überstehen
können. Unsere Zielsetzung war ja auch nicht nur Opel Bochum zu retten,
sondern alle 12.000 Arbneitsplätze bei GM in Europa. Und wir haben für
alle Millionen Beschäftigte überhaupt gekämpft, damit alle merken, dass
es sich lohnt, sich zu wehren.
JK: Wir müssen mit vereinten Kräften den Großangriff der Arbeitgeber auf
die lohnabhängig Beschäftigten in Deutschland bekämpfen. Wir brauchen
eine starke Vernetzung der Belegschaften und müssen unseren
Organisationsgrad erhöhen. Wir müssen das Bewusstsein stärken, dass man
für den Erhalt seines Arbeitsplatzes kämpfen muss.
F: Ihr seid in die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit
eingetreten und auch schon wieder ausgetreten. Welche Hoffnung habt Ihr
mit WASG verbunden?
JR: Die Politik ist mitverantworlich, dass wir in diese Krise für die
Arbeitnehmer (für die Arbeitgeber ist es ja keine Krise) geraten sind.
Wir hatten die Hoffnung über die WASG den Arbeitskampf über die Grenzen
Bochums hinaus und in die Politik hinein zu tragen. Wir wollten eine
Plattform finden, wo wir mit anderen gemeinsam agieren können, um
vielleicht auf lange Sicht auch Kollegen in Parlamente zu wählen, die
dort für unsere Interessen eintreten.
JK: Unsere Hoffnung ist, dass sich die Wahlalternative als eine
politische Kraft entwickelt, von der jeder Arbeitnehmer, der von
Arbeitsplatzverlust betroffen ist, aufgefangen wird und Hilfe durch die
Partei in Anspruch nehmen kann. Der genau weiß, dass er da eine starke
Vertretung im Rücken hat auf die er zählen kann.
F: Ihr seid jetzt wieder ausgetreten, weil es Konflikte mit dem
Landesvorstand in NRW gab. Was ist geschehen?
JK: Wir wollten eine Betriebsgruppe gründen, aber der Landesvorstand hat
mit einer fadenscheinigen Begründung die schnelle Gründung verhindert.
Das wäre für uns wichtig gewesen, um an der Wahl eines Sprechers der
Bochumer WASG teilzunehmen. Diese schnelle Gründung ist uns untersagt
worden. Da haben wir gesagt, dass wir keinen Zwei-Fronten-Krieg führen
können und uns nicht gleichzeitig mit der Opel-Geschäftsleitung und dem
Landesvorstand der WASG auseinandersetzen können. Wir haben dann die
Konsequenz gezogen uns auf eine Sache zu konzentrieren. Das heißt aber
nicht, dass wir für alle Zeiten aus der WASG draußen sind.
JR: Ich habe versucht die Betriebsgruppe mit aufzubauen und den Austritt
abzuwenden, schließlich bin ich mit großem Eifer an Sache rangegangen
und mir war klar, dass es da Reibungen geben wird. Aber die Kollegen
wollten ein Zeichen setzen und Landesvorstand mit dem Austritt unter
Druck setzen. Das hätten wir aber auch anders machen können. Ich werde
auf jeden Fall wieder in die WASG eintreten und werde versuchen die
anderen Kollegen auch davon zu überzeugen. Wir müssen langfristig
denken. Ich hoffe, dass wir uns in der Wahlalternative wieder finden
werden um den Kampf auch außerhalb von Opel aufzunehmen.
F: Ihr habt auf Veranstaltungen der WASG in Köln und Berlin gesprochen.
Wie war dort die Resonanz?
JR: Wir haben eine sehr große Unterstützung erfahren und ich werde auch
deswegen wieder eintreten. Nach dem Austritt hatte ich schon aus ganz
Deutschland Emails und Anrufe erhalten von WASG-Kollegen, die mir
gesagt haben, wir sollten weiter machen. Das hat mich schon bestärkt und
das Treffen in Berlin hat mich noch mehr bestärkt. Jetzt wo ich die
Kollegen der Wahlalternative auch persönlich kennen gelernt habe, ist es
eine Selbstverständlichkeit wieder einzutreten. Ich will dazu beitragen
die WASG da hin zu kriegen, wo sie hingehört. Dass sie eine
Arbeitnehmerpartei wird, wo Arbeitnehmer zusammen stehen. Schade, wenn
man dabei auch gegen Leute in der Wahlalternative kämpfen muss, die
scheinbar nur Posten haben wollen und vielleicht jetzt schon über
Koalitionen mit anderen Parteien nachdenken. Die WASG muss aber eine
Arbeitnehmerpartei werden, die die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.
Das muss die Grundvoraussetzung sein.
JK: Ich habe am 7.12. bei einer Veranstaltung der Wahlalternative in
Köln über unseren Kampf berichtet. Dort gab es viel Unterstützung für
uns und auch Kritik am Landesvorstand. Die meisten Teilnehmer waren
solidarisch mit uns und haben viel Verständnis für unsere Lage geäußert.
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