[SAV-newsletter] Gesine Lötzschs Wege zum Sozialismus - ein Kommentar von Lucy Redler
SAV Zentrale
info at sav-online.de
Fr Jan 7 16:14:12 CET 2011
*Gesine Lötzschs Beitrag "Wege zum Kommunismus" im Vorfeld der
Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt am 8. Januar hat eine heftige
Debatte über Kommunismus und Sozialismus in der Öffentlichkeit ausgelöst. *
*Die bürgerlichen Medien und Politiker von SPD und Union standen sofort
in den Startlöchern, um DIE LINKE auf breiter Front anzugreifen. Am
weitesten aus dem Fenster lehnte sich der CSU-Generalsekretär Dobrindt,
der die flächendeckende Bespitzelung der Linkspartei und die Prüfung
eines Verbotsverfahrens forderte. Das sind Politiker, die sich sonst bei
jeder Gelegenheit die Wahrung der demokratischen Grundordnung auf die
Fahne schreiben.*
/von Lucy Redler, Berlin/
Die bürgerlichen Medien jubilierten, Lötzsch habe nun endlich mal
ausgesprochen, was DIE LINKE wirklich wolle. So veröffentlichte Die Welt
einen Kommentar mit dem Titel "Danke, Gesine Lötzsch", in dem sie
ausführte: /"Gesine Lötzschs Sehnsucht nach Kommunismus und Überwindung
des Kapitalismus spricht eine Sprache, die nicht zu den Grundfesten
einer aufgeklärten, demokratischen Öffentlichkeit gehört. Auf welchem
Boden sie auch immer stehen möge, es ist nicht jener der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Positiv vom Kommunismus zu
schwadronieren, einer mit dem Blut Hunderttausender Opfer getränkten
Ideologie, dazu gehört schon Chuzpe."/
Es ist nichts Neues, dass die bürgerlichen Medien und Vertreter
prokapitalistischer Parteien wie CDU/CSU die Überwindung des
Kapitalismus und die Erstrebung einer sozialistischen Gesellschaft mit
den stalinistischen Regimen im Ostblock gleichsetzen, um zu kaschieren,
dass sich ihr kapitalistisches System in der tiefsten Krise seit achtzig
Jahren befindet und ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung in
Stuttgart und Gorleben mit Schlagstöckern, Pfefferspray und
Wasserwerfern durchgeprügelt wird.
Gesine Lötzsch hat es mit ihrem ursprünglichen Beitrag den Bürgerlichen
jedoch auch einfach gemacht, weil sie -- entgegen späterer Interviews --
in ihrem Text nicht klarstellt, was sie unter Kommunismus versteht. Wenn
sie geschrieben hätte, dass Kommunismus eine klassenlose Gesellschaft
bedeutet und es im Osten keinen Kommunismus, sondern eine stalinistische
Diktatur gab, wäre es für die bürgerliche Meute schwieriger gewesen, DIE
LINKE auf breiter Front anzugreifen. Ihre Äußerung ist Ausdruck einer
nicht ganz eindeutigen Haltung vieler LINKE-Funktionäre zur DDR, die
sich auch im Programmentwurf der Partei widerfindet, in dem einerseits
ein klarer Bruch mit dem Stalinismus gefordert wird, die DDR aber
gleichzeitig als "Sozialismusversuch" deklariert wird.
DIE LINKE sollte die Debatte jetzt nutzen, um offensiv für eine
sozialistische Demokratie zum alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn
einzutreten und deutlich zu machen, was sie darunter versteht. Eine
sozialistische Demokratie kann nur erreicht werden durch eine umfassende
Umwälzung der Eigentums- und Machtverhältnisse, das bedeutet der
Verstaatlichung aller Banken und der Schlüsselindustrien unter der
demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung.
*Was steht drin?*
Gesine Lötzsch schlägt jedoch in ihrem Text gar keinen Weg zu einer
sozialistischen Demokratie vor. Im Gegenteil: Der Text ist an
Beliebigkeit nicht zu überbieten.
Gesine Lötzsch setzt ihre "Wege zum Kommunismus" mit dem Trial and
Error-Prinzip von Thomas Edison bei der Erfindung der Glühbirne gleich
und folgert daraus, man müsse nur genug Wege zum Sozialismus ausprobieren:
"/Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den
Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der
Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern
sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen."/
Nachdem Lötzsch anfangs den Weg der Beliebigkeit zu einer
sozialistischen Gesellschaft einschlägt, weist ihre Logik im Endeffekt
nicht über den Kapitalismus hinaus und lässt dabei noch die arme Rosa
Luxemburg als Kronzeugin auftreten. Diese würde sich sicher im Grabe
umdrehen, wenn sie wüsste, dass Gesine Lötzsch sie ihres Inhalts -- der
Abschaffung des Kapitalismus und der Erkämpfung einer sozialistischen
Gesellschaft entleeren würde.
*Regierungsbeteiligung*
Schon der Hinweis Lötzschs, dass man Wege sowohl in der Opposition als
auch in der Regierung ausprobieren müsse, konterkariert den Kampf für
Sozialismus und steht im klaren Widerspruch zu Rosa Luxemburg, die schon
1899 den Eintritt des Sozialisten Millerands in eine bürgerliche
Regierung rügte (nachzulesen in: Sozialistische Krise in Frankreich von
1901).
Rosa Luxemburg formulierte sehr klar in "Eine taktische Frage": /Ein
Sozialdemokrat hingegen, der dieselben Reformen als Mitglied der
Regierung, das heißt gleichzeitig bei aktiver Unterstützung des
bürgerlichen Staates im Ganzen anstrebt, reduziert tatsächlich seinen
Sozialismus im allerbesten Fall auf bürgerliche Demokratie oder
bürgerliche Arbeiterpolitik. Während daher das Vordringen der
Sozialdemokraten in die Volksvertretungen zur Stärkung des
Klassenkampfes, also zur Förderung der Sache des Proletariats führt,
kann ihr Vordringen in die Regierungen nur die Korruption und
Verwirrungen in den Reihen der Sozialdemokratie zum Ergebnis haben."/
Genau das sehen wir heute in Berlin und Brandenburg, wo DIE LINKE an der
Regierung beteiligt ist. Es bleibt die Aufgabe von Linken in der
Linkspartei, die Ideen Rosa Luxemburgs zu verteidigen und auch als
Werkzeug in der Auseinandersetzung um die Perspektive der Linkspartei zu
nutzen.
*Eigentumsfrage*
Lötzsch zeichnet in ihrem Beitrag einen Weg der kleinen Reformschritte,
der dann irgendwann zum Sozialismus führen würde und nennt das
"revolutionäre Realpolitik".
In Bezug auf Rosa Luxemburg und die Niederlage der deutschen Revolution
1918 schreibt sie: "/Was hier durch Rosa Luxemburg in der konkreten
Situation einer unvollendeten Revolution und der absehbaren Defensive
formuliert wurde, ist eine Politik, die sie selbst »revolutionäre
Realpolitik« nannte -- ausgehend von den dringenden Nöten der Arbeiter
und großer Teile der Bevölkerung soll an Lösungen gearbeitet werden, die
deren Lage spürbar verbessern und zugleich zu einer strukturellen
Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse führen. Es sollen
Tagesfragen beantwortet und Kapitalismus und Militarismus zurückgedrängt
werden mit dem Ziel, diese schließlich zu überwinden."/
Doch während Rosa Luxemburg den Kampf für Reformen als Mittel zur
sozialistischen Umwälzung verstand, verfolgt Gesine Lötzsch ein anderes
Ziel. Bei Lötzsch geht es jedenfalls im folgenden nicht mehr um "die
strukturelle Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse", sondern
um mehr oder weniger weitgehende Tagesforderungen wie beispielsweise
Belegschaftseigentum anstatt von umfassender Verstaatlichung.
Dass bei der Forderung nach Belegschaftseigentum lediglich das
kapitalistische System mit ein bisschen mehr an Mitbestimmung verteidigt
wird, hat wenig mit Rosas Ansatz der Verbindung von Reform und
sozialistischer Umwälzung zu tun.
*Ein anderes Ziel*
Auch Rosa Luxemburg war nicht gegen einfache Verbesserungen im Interesse
der Arbeiterklasse. Für sie stand der Kampf um Verbesserung aber im
Zusammenhang mit der Abschaffung des Kapitalismus. Oder, in ihren Worten
ist "der/Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung
aber der Zweck" /(Sozialreform und Revolution)
Wenn Gesine Lötzsch und Rosa Luxemburg sich getroffen hätte, hätte Rosa
wohl etwas ähnlich wie gegenüber Bernstein geantwortet:
"/Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz
zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft
ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren,
langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel,
nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß
quantitative Veränderungen in der alten." /
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/sav-a/attachments/20110107/87459c8d/attachment.html>
Mehr Informationen über die Mailingliste Sav-a