[SAV-newsletter] Nachruf: Gaetan Kayitare
Lucy Redler
lr at sav-online.de
Mo Feb 28 19:02:39 CET 2011
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde
in der Nacht von Samstag auf Sonntag verstarb unser Genosse und Freund
Gaetan Kayitare. In dieser Mail findet ihr einen Nachruf, den ihr an
diejenigen weiterleiten solltet, die Gaetan gekannt und geliebt haben.
mit sozialistischen Grüßen,
Lucy Redler
für die SAV-Bundesleitung
*Nachruf: Gaetan Kayitare *
*Wir haben einen außergewöhnlichen Menschen verloren*
Es gibt Menschen, die sollten hundert Jahre alt werden. Sozusagen aus
objektiven Gründen. Weil sie die Fähigkeit haben andere Menschen zu
inspirieren. Gaetan Kayitare war ein solcher Mensch. Aber er ist nicht
hundert Jahre alt geworden. Gaetan ist am 27. Februar gestorben und wir
wissen nicht einmal genau, wie alt er war. Geboren in Rwanda in
Zentralafrika, kannte er sein genaues Geburtsdatum nicht. Er war wohl
Mitte sechzig.
Von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher
Gaetan war seit 1982 Mitglied der SAV bzw. der Vorläuferorganisation
"Voran" und hatte wesentlichen Anteil daran, die Aachener Gruppe zu
einer Hochburg der Organisation aufzubauen. Er war Mitglied im
Bundesvorstand, arbeitete viele Jahre Vollzeit für Voran und SAV und
einige Jahre davon tageweise in der Bundeszentrale, war mehrmals
Delegierter zum Weltkongress des Komitees für eine
Arbeiterinternationale. Doch all solche Funktionen und Tätigkeiten
können nicht ausdrücken, welche Rolle er gespielt hat und welche
Bedeutung er für unzählige junge Menschen hatte, die gegen den
Kapitalismus rebellieren wollten und auf der Suche nach Erklärungen und
Perspektiven waren.
Ich lernte Gaetan 1986, mit 16 Jahren, kennen. Von der ersten Begegnung
an, übte er eine faszinierende Ausstrahlung auf mich aus. Man spürte
sofort, hier hatte man es mit einem unerbittlichen Kämpfer zu tun. Seine
Waffen waren seine Worte. Und selbst, wenn man diese aufgrund des Tempos
und des Akzents, in denen er sie abfeuerte, nicht immer hundertprozentig
verstand, trafen sie seine politischen Gegner und seine politischen
Freunde gleichermaßen ins Herz. Es ist keine Übertreibung, wenn ich
schreibe, dass meine politische Entwicklung zum Marxisten niemand so
sehr beeinflusst und geprägt hat, wie Gaetan Kayitare. Ohne ihn wäre ich
ein Anderer geworden. Ich zog es an nicht wenigen Tagen vor, mich von
ihm vormittags in seiner Küche in Marxismus, Geschichte der
Arbeiterbewegung und dialektischem Denken unterrichten zu lassen, als
zur Schule zu gehen. Ich weiß nicht wie oft wir morgens zusammen vor
einer Schule oder einem Betrieb Flugblätter verteilten oder unsere
Zeitung anboten und danach stundenlang diskutierten, oder besser: ich
ihm stundenlang zuhörte. Und diesbezüglich war ich unter den jungen
GenossInnen in Aachen keine Ausnahme.
Gaetan hat sehr viele Menschen nachhaltig geprägt und jeder, der ihn
kennen lernte, behielt ihn in Erinnerung. 1998 wurde er als Teil einer
internationalen Delegation des Komitees für eine Arbeiterinternationale
nach Schottland geschickt, um in dem Fraktionskampf in der dortigen
Sektion mitzudiskutieren. Gaetan prophezeite den schottischen
GenossInnen, die sich von den Positionen des CWI's entfernten, dass sie
im Reformismus landen werden. Er sprach immer seine Überzeugungen direkt
und unverhohlen aus. Doch die SchottInnen liebten und respektierten ihn
und sprachen nur in höchsten Tönen von den Gesprächen mit ihm.
Vielleicht auch weil sie erkannten, dass sie es mit einem echten
Internationalisten zu tun hatten. Kaum einer lebte den
Internationalismus wie er.
Dabei war er nicht nur ein Mann des Wortes, sondern vor allem auch ein
Mann der Tat, ein Aktivist, der sich keine Demonstration, keinen Streik
entgehen ließ. Er war Teil so ziemlich aller Bewegungen, die in Aachen
in den letzten dreißig Jahren stattfanden. Ob in Kampagnen gegen
Prestigeprojekte in seinem Stadtteil in Aachen-Nord, im
Solidaritätskomitee für die Bergarbeiter von Sophia Jacoba, im Kampf
gegen Nazis und Rassismus, beim Aufbau der WASG und dann, durch seinen
Gesundheitszustand schon stark eingeschränkt, der Partei DIE LINKE. Um
nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Er war zweifelsfrei ein Mensch, der polarisierte. So sehr ihn die einen
liebten, so sehr fürchteten ihn die anderen. Die Aachener CDU ließ sich
1999 sogar dazu herab, ihn wegen antirassistischer Aktionen vor dem
lokalen CDU-Büro des Terrorismus zu verdächtigen. Die CDU wollte ihm die
deutsche Staatsbürgerschaft verweigern! Sie kamen damit nicht durch.
Aber auch innerhalb der Arbeiterbewegung und der Linken, inklusive der
eigenen Organisation, war Gaetan immer für eine ordentliche Polemik zu
haben und nicht selten redete er seine Widersacher buchstäblich an die
Wand.
Dann dachte man auch hin und wieder, wie stur er doch ist. Aber oftmals
stellte sich seine Sturheit als Stolz, Prinzipienfestigkeit und
Weitblick heraus. Seine vorzüglichsten Charakterzüge waren dabei das
Verschmähen einer jeden Form von Anpassung und faulen Kompromissen und
seine herausragende Fähigkeit zu dialektischem Denken.
Ich kenne kaum einen Menschen, der die Dialektik so sehr verkörperte,
dem sie so in Fleisch und Blut übergegangen war, wie ihn. Dialektik, das
Begreifen aller Phänomene in ihrer Widersprüchlichkeit und ihrer
Entwicklung, war bei ihm kein trockener Lehrsatz, sondern in jeder
Situation angewandte Denkweise und Erkenntnistheorie.
Gaetan gehörte zur älteren Generation in der SAV, aber den Draht zur
Jugend hat er nie verloren. Wahrscheinlich war es die Tatsache, dass er
ein großes Herz hatte und die jungen Leute ernst nahm. Und dass er immer
revolutionäre Energie, einen unerschütterlichen Optimismus und das
Vertrauen in die Kraft der Arbeiterklasse, die Welt zu verändern,
ausstrahlte, was Jugendliche dazu veranlasste, ihn zu mögen und seine
Nähe zu suchen.
Er war Revolutionär im besten Sinne des Wortes. Der Kampf für soziale
Rechte, gegen Ausbeutung und Diskriminierung, für eine sozialistische
Zukunft stand bei ihm an erster, zweiter und dritter Stelle. Darüber hat
er sich selber und seine Gesundheit leider vernachlässigt, trotz aller
Versuche von seinen GenossInnen ihn dazu zu bewegen, mehr auf sich zu
achten. In den letzten Jahren häuften sich chronische Krankheiten und
gesundheitliche Probleme, die ihn immer mehr an seine Wohnung fesselten
und seine Aktivitäts- und Mobilitätsmöglichkeiten einschränkten. An
bundesweiten Zusammenkünften der SAV konnte er seit zwei Jahren nicht
mehr teilnehmen. Seine kleine Wohnung wurde zum Treffpunkt der Aachener
GenossInnen, wo unter permanenter Kaffeeproduktion diskutiert und
beraten wurde. Seine Kräfte haben immer mehr nachgelassen und trotzdem
hat er nicht aufgehört, sich in Debatten einzubringen und wichtige Ideen
beizusteuern. Noch im letzten Herbst suchte er die Diskussion über die
veränderte Weltlage nach dem Ausbruch der 'großen Rezession' und zu der
Frage, welche Schlussfolgerungen MarxistInnen daraus zu ziehen haben.
Für ihn war klar, dass Massenbewegungen auf der Tagesordnung stehen, die
die Machtfrage aufwerfen würden, selbst wenn die Arbeiterklasse diese
aufgrund der Schwäche ihrer Organisationen noch nicht beantworten kann.
Für ihn bedeutete das aber, nicht auf die Perspektive und die Forderung
nach der Bildung von Arbeiterregierungen zu verzichten. Sondern im
Gegenteil, diese aufzuwerfen und zum Ausgangspunkt für eine Debatte über
die Notwendigkeit des Aufbaus sozialistischer Arbeiterparteien zu
nehmen. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten bestätigten diese Ansicht
innerhalb weniger Monate.
Obwohl viele von unsahnten, dass es kritisch um ihn steht, kam sein
Tod**zu diesem Zeitpunkt unerwartet. Er selber und wir, die wir ihm nahe
standen und ihn bei seinen gesundheitlichen Schwierigkeiten begleiteten
und zu helfen versuchten, haben die akute Ernsthaftigkeit seines
Gesundheitszustandes unterschätzt. Wir hatten gerade erst viele
Maßnahmen diskutiert, damit Gaetan wieder einen Anlauf für eine
Verbesserung seiner Gesundheit hätte nehmen können. Zu spät. Die
Nachricht von seinem Tod war wie ein Schlag in die Magengrube, man kann
nicht mehr atmen, fühlt sich wie gelähmt. Erst langsam funktioniert der
Organismus wieder und man realisiert, was geschehen ist.
Eine Genossin der Berliner SAV schrieb mir: "Gerade jetzt, nach diesen
20 Jahren Reaktion, in denen er immer die Fahne hochgehalten hat. Und
dann gerät die Welt in Bewegung ... Das ist ein Verlust, dafür gibt es
gar keine Worte."
Wenn Gaetan uns jetzt in unserer Trauer und Fassungslosigkeit sehen und
zu uns sprechen könnte, würde er wahrscheinlich etwas verärgert sagen,
dass wir doch alle wussten, dass er nicht besonders alt werden würde.
Und dass wir das fortsetzen sollen, was er so gerne fortgesetzt hätte:
den Herrschenden in die Suppe spucken, keine Ungerechtigkeit durchgehen
lassen, weiter kämpfen!
/Wir bitten unsere LeserInnen um Spenden, um die Trauerfeierlichkeiten
in Aachen ausrichten zu können und im Sinne von Gaetan den Kampf für
eine sozialistische Zukunft fortsetzen zu können.
/
/Spenden bitte auf folgendes Konto:
Kontoinhaber: Anneliese Stanicic
Kontonummer: 000 527 68 60
Sparkasse Aachen
BLZ: 390 500 00
Verwendungszweck: Sonderfonds Gaetan
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