[SAV-newsletter] Aachen und Köln: Wahlerfolge für Bündnisse gegen Sozialabbau - eine Analyse
SAV Zentrale
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Fr Okt 1 18:50:07 CEST 2004
Der Einzug von Marc Treude in den Aachener Stadtrat und von Claus Ludwig
in den Kölner Rat für die Wahlbündnisse „Gemeinsam gegen
Sozialkahlschlag“ bzw. „Gemeinsam gegen Sozialraub“ stellen einen
wichtigen Erfolg dar. Das politische Establishment in Aachen reagiert
nervös. So schreibt die Aachener Nachrichten: „Es gibt Überlegungen, die
Redezeit zu begrenzen. Hintergrund ist die Befürchtung, beispielsweise
die neu mit einem Mandat im Rat vertretene Gruppe «Gemeinsam gegen
Sozialkahlschlag» (GGSO) könne die Redezeit «zu langen Monologen zu
Themen missbrauchen, die nichts mit Kommunalpolitik zu tun haben», so
ein langjähriger Ratsherr. Dann ginge es etwa «eine Stunde lang gegen
Hartz IV», ohne dass dagegen etwas unternommen werden könne.“ Das
verwundert nicht, denn schließlich sind sich die Sozialräuber von SPD,
CDU, FDP und Grünen im Grundsatz einig und haben nicht viel zu sagen.
Die Stimme der von ihrer arbeitnehmer- und erwerbslosenfeindlichen
Politik Betroffenen wollen sie nicht hören.
Die Präsenz der zwei SAV-Mitglieder, die auf der Basis der Programme der
Wahlbündnisse jegliche Form von Sozialabbau, Privatisierungen und
Arbeitsplatzvernichtung ablehnen, wird die Entscheidungen der Stadträte
kaum verändern. Sie bietet trotzdem eine gute Ausgangsposition, um von
ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen stärker wahrgenommen zu
werden und eine größere Öffentlichkeit für eine alternative Politik zu
erreichen. Die beiden neuen Ratsherren und die Bündnisse, die sie
vertreten, haben im Wahlkampf unter Beweis gestellt, dass die
außerparlamentarische Bewegung für sie die oberste Priorität hat: durch
die Unterstützung der Montagsdemonstrationen, betrieblicher Proteste und
in Köln durch die Mobilisierung für eine antifaschistische Demonstration
am 16.10. gegen einen Nazi-Aufmarsch. Nicht zuletzt sind sie selber
Arbeitnehmer und aktive gewerkschaftliche Vertrauensmänner in ihren
Betrieben. Die Ratsmandate werden sie nutzen, um den Widerstand auf der
Straße und in den Betrieben zu unterstützen und voran zu treiben. Marc
Treude hat die ersten Anträge von „Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“
schon formuliert. Sie werden fordern, dass der Verkauf der
Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GeWoGe in dieser
Legislaturperiode ausgeschlossen wird und die Stadt Aachen die Hartz
IV-Gesetze nicht umsetzen wird. Eine Protestaktion zur Unterstützung
dieser Anträge vor der Ratssitzung ist geplant.
Die Sozialistische Alternative (SAV) hatte die Initiative zur Gründung
der Wahlbündnisse in beiden Städten ergriffen. Ziel war es dem
wachsenden Widerstand gegen Agenda 2010 und Lohnraub einen breiten
politischen Ausdruck zu verschaffen. Uns war klar, dass viele Betroffene
und AktivistInnen der sozialen Bewegungen, denen es noch schwer fällt
eine revolutionär-sozialistische Organisation aktiv zu unterstützen,
bereit sein werden aktiv ein breites Wahlbündnis zu unterstützen.
Dementsprechend sind wir für einheitliche und demokratische linke Listen
eingetreten, die zur Grundlage eine Ablehnung jeglichen Sozialabbaus
haben sollten. Leider ist es in beiden Städten nicht gelungen eine
solche Einheit herzustellen. Sowohl die örtliche PDS entschied sich
gegen eine Teilnahme an der Bündniskandidatur, als auch andere „Linke“,
die eigenständige Listen bildeten: in Köln die Ökologische Linke und in
Aachen gleich drei weitere Listen, die ein linkes oder zumindest
soziales Image hatten: UWG, ILAC und ELA. Diese Zersplitterung auf der
Linken erschwerte es den Wahlbündnissen das existierende Potenzial für
einen Wahlerfolg zu mobilisieren. Ebenfalls nicht geholfen hat in Köln
die Weigerung der lokalen Führung der Wahlalternative Arbeit und Soziale
Gerechtigkeit (WASG) zur Wahl von „gemeinsam gegen Sozialraub“
aufzurufen, obwohl viele WASG-Mitglieder auch das Wahlbündnis
unterstützten und dieses weitgehend Forderungen aufstellte, die die WASG
auch unterstützt.
Dieses Verhalten anderer linker Kräfte mag unterschiedliche Ursachen
haben. Für die PDS trifft sicher zu, dass sie die kompromisslose Haltung
der Wahlbündnisse nicht mittragen wollte. So konnten sich PDS-Vertreter
in Aachen und Köln vorstellen rot-grün zu unterstützen, um zum Beispiel
eine Ratsmehrheit zu erreichen. Auch wollten so manche KandidatInnen
anderer Listen das Prinzip der Wahlbündnisse nicht mitmachen, welches es
gewählten Ratsmitgliedern verbietet aus dem Mandat irgendwelche
Privilegien anzunehmen.
Trotzdem gelang es den Bündnissen ihre Basis über die an ihnen
beteiligten organisierten Gruppen hinaus zu erweitern. Beide Bündnisse
haben jeweils über 100 Mitglieder und viele weitere UnterstützerInnen,
die nicht formal beigetreten sind.
In beiden Städten wurden sehr engagierte und intensive Wahlkampagnen
geführt, trotz der bescheidenen Mittel, die zur Verfügung standen. Mit
täglichen Aktionen vor Betrieben, Arbeitsämtern und in den Stadtvierteln
wurde das direkte Gespräch mit der Bevölkerung gesucht, denn eines war
klar: es musste um jede einzelne Stimme gekämpft werden. Das veranlasste
auch über 60 SAV-Mitglieder aus anderen Städten – und sogar Mitglieder
der belgischen und österreichischen Schwesterorganisationen der SAV –
zur Wahlkampfunterstützung in die Domstädte anzureisen.
Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten sind ein schwieriges Feld für die
Arbeiterbewegung und die Linke. Die bürgerliche Propagandamaschine der
Medien und pro-kapitalistischen Parteien funktioniert ausschließlich für
die bürgerlichen Parteien. In Aachen und Köln gab es einen fast
kompletten Presseboykott der Lokalmedien gegen die Wahlbündnisse. Zu
offiziellen Wahlveranstaltungen wurden die Bündnis-Kandidaten kaum
eingeladen. Gleichzeitig war man mit einer Materialschlacht der
etablierten Parteien (und in Köln der finanzstarken Faschisten von Pro
Köln) konfrontiert, mit der die Wahlbündnisse nicht konkurrieren konnten.
Die Hoffnung, die Ablehnung der etablierten Parteien relativ leicht in
eine Stimmabgabe für die Wahlbündnisse umwandeln zu können, erwies sich
als trügerisch. Mit dem geringen Bekanntheitsgrad und den bescheidenen
finanziellen Mitteln war es nicht möglich die dominierende Stimmung in
der Arbeiterklasse zu ändern. Diese war: wählen bringt nichts.
Demzufolge sank die Wahlbeteiligung landesweit ein weiteres Mal (in Köln
stieg sie zwar leicht, liegt aber trotzdem mit 48,2 Prozent unter
Landesniveau) und es gelang den Wahlbündnissen nicht mehr Menschen aus
diesen Schichten zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Sicher ist das auch
Ausdruck der Tatsache, dass die Verankerung der an den Bündnissen
beteiligten Kräfte noch gering ist. Aber vor allem heißt das: die
Sympathie, die den Wahlbündnissen auf der Straße, vor Betrieben und den
Arbeitsämtern entgegenschlug war weitaus größer als es die
Stimmenergebnisse ausdrücken. Die Stimmung gegen die etablierten
Parteien der Sozialräuber ging zwar klar in die Richtung der
Wahlbündnisse, konnte aber nicht in aktive Wahlteilnahme verwandelt
werden, sicher auch, weil viele nicht daran glaubten, dass die
Wahlbündnisse überhaupt eine Chance auf einen Ratssitz haben. Diese
Erfahrung machte auch die Rostocker SAV/Liste gegen Sozialkahlschlag.
Nach dem Wahlerfolg im Juni sagten viele Menschen, die wir später auf
der Straße oder den Montagsdemonstrationen getroffen haben: Wenn ich
gewusst hätte, dass Ihr eine Chance habt, hätte ich Euch auch gewählt.
Wahlen sind Momentaufnahmen von Stimmungen. Hätten die Wahlen einige
Wochen früher stattgefunden, wären die Stimmergebnisse sicher besser
gewesen. Doch Ende September war die Bewegung der
Montagsdemonstrationen, die ohnehin kaum auf Westdeutschland
übergeschwappt war, schon wieder rückläufig und bei einigen der
Beteiligten machte sich Enttäuschung darüber breit. Diese Enttäuschung
ist umso mehr nachvollziehbar, da es innerhalb von einem Jahr die dritte
größere Mobilisierung ist, die durch die Gewerkschaftsführungen nicht zu
wirklichem Widerstand weiter entwickelt wird.
Auch drückt sich aus, dass für kleine Gruppierungen ein reiner
Propagandawahlkampf unter den bestehenden Bedingungen nur eine begrenzte
Wirkung erzielen kann. Leider war es den Wahlbündnissen nicht möglich
eine konkrete Auseinandersetzung vor Ort zu führen, die breitere Teile
der Arbeiterklasse in Aktivität und Widerstand gezogen hätte.
Ein weiterer Faktor war sicher, dass die Wahlerfolge der Faschisten bei
den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen einige WählerInnen dazu
verleitet hat mit der Faust in der Tasche noch einmal SPD oder Grüne zu
wählen, um zu verhindern, dass die Rechtsextremisten in den Stadträten
zum Zünglein an der Waage werden. Die heuchlerische Wahlwerbung der
Kölner SPD, die kurz vor dem Wahltag noch ein neues Plakat mit der
Aufschrift „gegen Rechts wählen“ klebte, hatte sicher bei einigen eine
Wirkung erzielt.
Vor diesem Hintergrund sind die Stimmenergebnisse von 785 in Aachen (0,8
Prozent) und 2253 in Köln (0,6 Prozent) als wichtige Achtungserfolge zu
werten. Die deutlich besseren Ergebnisse in den Stimmbezirken, in denen
mehr Wahlkampfaktivitäten stattfanden zeigen, was bei mehr finanziellen
Ressourcen und mehr aktiven WahlkämpferInnen möglich gewesen wäre. Die
Gesamtergebnisse für die linken Kandidaturen (in Aachen 5,6 und in Köln
vier Prozent) und auch die Erfolge vieler weiterer kleiner linker
Kandidaturen in anderen Städten Nordrhein-Westfalens zeigen das
Potenzial, das für eine neue Arbeiterpartei existiert. Dabei ist klar,
dass diese aufgrund der begrenzten Mittel und der schwachen
Medienberichterstattung dieses Potenzial nur ankratzen konnten. Die
Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (bzw. die sich daraus
wahrscheinlich bildende Linkspartei) wird in der Lage sein deutlich
bessere Ergebnisse zu erzielen, wenn sie eine kämpferische Wahlkampagne
führt. Dies sollte bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr geschehen.
Sascha Stanicic, Berlin (und Wahlkampfhelfer in Köln und Aachen)
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