[SAV-newsletter] Zum 60. Jahrestag des 20. Juli 1944
SAV Zentrale
info at sav-online.de
Mo Jul 19 11:15:02 CEST 2004
“... um das Reich zu retten."
Am 20. Juli jährt sich das Attentat von Stauffenberg auf Hitler zum 60. Mal.
Wenn die Regierung und die bürgerlichen Medien dem Widerstand gegen das
NS-Regime gedenken, dann heben sie in der Regel den militärischen
Widerstand hervor. Nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von
Stauffenberg wurden eine Kaserne und 300 Straßen benannt. Besonders in
diesem Jahr, zum 60. Jahrestag, ist viel von Zivilcourage und Demokratie
die Rede. Was hat es auf sich mit dem militärischen Widerstand? Warum
gedenken die Bürgerlichen gerade Stauffenberg? Und wer brachte den
Faschismus an die Macht und wer stürzte ihn?
Tat und Täter
Stauffenberg stand 1944 als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres
im Mittelpunkt eines Netzwerkes von etwa 200 Oppositionellen. Über Jahre
hinweg hatten Offiziere, die dem NS-Regime zunächst loyal gegenüber
standen, diese Opposition im Staatsapparat aufgebaut und auch
Verbindungen zur zivilen Opposition hergestellt. Nach mehreren
misslungenen Attentaten schlug am 20. Juli 1944 auch der letzte Versuch
fehl. Hitler überlebte Stauffenbergs Sprengstoffanschlag bei einer
militärischen Lagebesprechung im Hauptquartier “Wolfsschanze”.
Stauffenberg stammte aus einer standesbewussten katholischen
Adelsfamilie. Die Novemberrevolution von 1918 und die Abdankung des
Kaisers kränkte das adlige Selbstwertgefühl. Stauffenberg wollte sich
dem “erhabenen Kampf für das Volk opfern” und wurde Berufsoffizier. Da
er die Ideen der Nazis vom Führerprinzip und der Volksgemeinschaft
teilte, begrüßte er Hitlers Regime. Trotzdem bewahrte er eine kritische
Distanz, die von einer standesbedingten Verachtung des Nazi-Pöbels
herrührte. Als Adliger und Soldat fühlte er sich überlegen. Stauffenberg
fügte sich in die Wehrmacht ein und trug den Krieg, für ihn ein
“völkischer Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein der Nation”, bis
1942 mit. Als er jedoch zur Überzeugung kam, dass sein “Vaterland” unter
Hitlers Führung geradewegs auf den Abgrund zusteuert, schloss er sich
dem bürgerlich-militärischen Widerstand an.
Gedenken und Rüsten
Im westlichen Teil Deutschlands wurde Stauffenberg und seinen
Mitverschwörern nach 1945 zunächst nicht offiziell gedacht. Soldaten,
die während eines Krieges den Führer ermorden wollten, galten noch lange
als Verräter. Marion Gräfin Dönhoff hatte aber schon 1946 darauf
hingewiesen, dass es wichtig sei, diese “Menschen, aus deren Sein und
Handeln, aus deren Wesen und Erkennen die geistige Erneuerung und der
Wiederaufbau des Landes Gestalt gewinnen sollte” zu ehren. Ebenso
befassten sich die Historiker Hans Rothfels und Gerhard Ritter gezielt
mit dem konservativen Widerstand, um eine positive Kontinuität der
deutschen Geschichte zu konstruieren. Als erster Bundespräsident
gedachte Theodor Heuss 1954 dem Widerstand. Die Männer des 20. Juli 1944
seien für das andere, das bessere Deutschland gestorben, zu dem auch
“das recht verstandene preußische Erbe” gehöre. “Die Scham, in die
Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten
deutschen Namen wieder weggewischt.” Diese Worte lassen klar erkennen,
worum es ging und worum es auch heute geht.
Denn auch heute sehen die Bürgerlichen in Stauffenberg und seinen
Mitstreitern das “bessere Deutschland”. Sie sollen einen Nationalstaat
repräsentieren, dessen Herrschende sich nicht mit dem Blut von Auschwitz
besudelt haben.
Die Niederlage des Zweiten Weltkriegs hatte die Möglichkeiten der
deutschen Kapitalisten eingeschränkt. Lange mussten sie sich der Führung
der USA unterordnen. Mit der Wiedereinführung des Kapitalismus in
Osteuropa und der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Chancen des
deutschen Kapitals, wieder eine eigenständige Weltmachtposition
einzunehmen, deutlich gestiegen. Osteuropa steht ihnen wieder als Markt
zur Verfügung. Deutsche Soldaten sind wieder weltweit im Einsatz, um den
“freien Zugang zu Rohstoffen und Märkten” zu gewährleisten.
(Verteidigungspolitische Richtlinien, 1992) Die deutschen Herrschenden
wollen uns also wieder an Kriegseinsätze gewöhnen, um nicht nur eine
wirt-schaftlich dominante Stellung zu haben, sondern auch wieder
politisch zu den Großen zu gehören.
Aber viele Menschen haben noch nicht vergessen, dass die Expansion des
deutschen Imperialismus der Welt schon einmal Tod und Zerstörung
brachte. Deshalb soll Stauffenberg als Beweis dafür herhalten, dass
Teile der Elite der Nation den Faschismus nicht wollten. Schon 1954 ließ
Heuss einige Tatsachen unter den Tisch fallen: Stauffenberg und seine
Mitstreiter waren keine Demokraten, die meisten von ihnen hatten Hitlers
Politik unterstützt und seinen Krieg mitgeführt. Bei den heutigen
Ehrungen sollen die Männer des 20. Juli immer noch „die positive
Kontinuität“ des deutschen Staates verdeutlichen.
Widerstand wird uns dargestellt als Widerstand der Eliten. So sagte
Willy Brandt 1990 im Bundestag: “Wir sind dem Erbe des deutschen
Widerstandes verpflichtet. In dieser Stunde denke ich an Julius Leber
und an den Grafen Stauffenberg.” Nur kurz vorher hatte die
“Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten” Material über den
“Widerstand von unten” zusammengetragen, um der Fixierung auf die Eliten
entgegenzuwirken. Kein Wort davon. Dabei waren es gerade die Eliten, die
Hitlers Bewegung aufgebaut und an die Macht gebracht haben.
Steigbügel und Kettenhunde
Die herrschende Klasse lässt Faschisten dann an die Macht, wenn die
Herrschaftsmethoden des bürgerlichen Staates nicht mehr ausreichen, um
einer starken Arbeiterbewegung Herr zu werden. Die deutsche
Arbeiterklasse stand 1918 mit der Novemberrevolution kurz davor, die
Staatsmacht zu ergreifen und die Kapitalisten zu enteignen. Damals kam
die SPD dem Kapital zu Hilfe. Die Kapitalisten konnten weiter herrschen,
aber das parlamentarische System beinhaltete immer auch Elemente des
Kompromisses mit der Arbeiterklasse.
Eigentlich ist bürgerlicher Parlamentarismus die ideale Form
bürgerlicher Herrschaft, weil er die Arbeiterklasse zu einem gewissen
Grade integriert, ohne das Privateigentum in Frage zu stellen. Dadurch
erhält das System seine Stabilität. Anfang der 30er Jahre aber hatte der
Parlamentarismus für die Herrschenden ausgedient.
Von Anfang an war die faschistische Bewegung auch vom Großkapital
finanziert worden. Einige der ersten Großspender waren zum Beispiel die
Industriellen Ernst von Borsig, Hugo Stinnes, Emil Kirdorf und Fritz
Thyssen. Die Partei bestand zunächst vor allem aus Soldaten der unteren
und mittleren Offiziersränge, die von Hass erfüllt waren über den
Ausgang des Ersten Weltkriegs, die Novemberrevolution und ihr verlorenes
Ansehen.
Ende der 20er Jahren zog die NSDAP dann Massen von Kleinbürgern an, die
von der wirtschaftlichen Entwicklung ruiniert wurden. Bis 1923 gingen
große Teile des Kleinbürgertums noch mit der Arbeiterklasse. Aber die
Unfähigkeit der Arbeiterparteien, einen wirklichen Ausweg aus der Krise
aufzuzeigen, trieb immer mehr in die Arme Hitlers. 1933 war “der breite
Mittelstand völlig dem Sog der nationalsozialistischen Propaganda
erlegen”, wie der Historiker Hans Mommsen feststellte.
Die Nazis waren (und sind) die Kettenhunde des Kapitals. So
charakterisierte der russische Revolutionär Leo Trotzki ihre Diktatur
treffend: “Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen,
Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes
Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer
Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus
besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde,
sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustande erzwungener
Zersplitterung zu halten. Hierzu ist die physische Vertilgung der
revolutionärsten Arbeiterschicht ungenügend. Es heißt alle selbständigen
und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des
Proletariats zu vernichten und die Ergebnisse von dreiviertel
Jahrhundert Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften
auszurotten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch
die kommunistische Partei.”
Ohne all das wäre es nicht möglich gewesen, in den Betrieben das
Führerprinzip einzuführen, den Lebensstandard der Werktätigen nachhaltig
zu senken und die Bedingungen für eine erneute kriegerische Expansion zu
schaffen.
Somit ist der Faschismus die zugespitzteste, radikalste Form
bürgerlicher Herrschaft, die für die Kapitalisten ein großes Risiko
beinhaltet. Sie geben ihre Kontrolle über den Staatsapparat nicht ohne
Not an eine faschistische Bewegung ab. 1932 sprachen NS-Funktionäre vor
großen Versammlungen von Industriellen. Die Herrschenden sollten ihre
Zweifel ablegen, ob Hitler wirklich befähigt ist, die Staatsgeschäfte zu
lenken und die Profitbedingungen zu verbessern. Hitler versprach über
400 Vertretern der Industrie aus dem Rhein/Ruhr-Gebiet, den “Marxismus
bis zur letzten Wurzel” auszurotten und das Volk in eine “Schule
eiserner Disziplin” zu nehmen. Er bekannte sich klar zur “privaten
Wirtschaft”.
1933 schienen die Methoden parlamentarischer Herrschaft ausgeschöpft.
Das kapitalistische Krisenmanagement erforderte eine qualitative
Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die
Historiker Pätzold und Weißbecker schreiben über die Stimmungslage der
Unternehmer: “So gelangten auch jene, denen diese Hitlersche
‚Arbeiterpartei‘ ungenehm war, ungeheuer, weil unberechenbar vorkam, zu
dem Schluß, daß man es mit diesem ‚Führer‘ würde versuchen müssen. Das
begünstigte das Projekt der Kanzlerschaft Hitlers, für das sich eine
Minderheit unter den mächtigsten Kapitaleignern und Großagrariern
vehement verwandte. Ihre Stärke resultierte aus dem Einfluß, über den
sie geboten, aber sie wurde durch den Umstand erheblich vergrößert, daß
es ein überzeugendes Konkurrenzprojekt nicht mehr gab.”
Klasse und Widerstand
Die Entstehung der NS-Diktatur führte sofort zum Widerstand der
Arbeiterbewegung. So erzählte der im Jahre 2000 als SAV-Mitglied
verstorbene Horst Steinert, der 1933 Jung-kommunist war: “Wir wollten
kämpfen. Hunderttausende wollten kämpfen. In der Nacht vom 30. Januar
saß ich gemeinsam mit anderen KPD-Mitgliedern in einem Berliner Keller;
wir waren bewaffnet, und warteten auf das Signal zum Aufstand. Ich
erinnere mich noch genau. Zwei Tage warteten wir damals auf einen Befehl
der KPD-Führung. Aber nichts kam. Kein Befehl. Nichts. Versagt haben
damals nicht die Tausende von Mitgliedern der KPD, sondern die
Parteiführung.”
Dass die Kapitalistenklasse ihre Kontrolle über den Staatsapparat
weitgehend abgegeben hatte, schuf aber auch die Bedingungen für die
Entstehung einer bürgerlichen Opposition. Deren Ziel war es, den
Nazi-Pöbel zu entmachten und selbst wieder die politische Verwaltung des
Kapitalismus zu übernehmen. Zunächst jedoch lebten Kapital und alte
Eliten gut mit dem Faschismus.
So wie Anfang der 30er Jahre die Situation des bürgerlichen
Parlamentarismus erst eine neue Qualität der Ausweglosigkeit erreichen
musste, damit die Kapitalisten Hitler zur Macht hoben, so musste das
faschistische Regime erst die bürgerliche Herrschaft an sich gefährden,
um dem bürgerlichen Widerstand immer mehr Auftrieb zu geben.
Wenn auch einzelne Industrielle wie Dahrendorf, ein führender Manager
des Energiekonzerns Preussag, oder Lobbyisten des Kapitals wie Carl
Goerdeler oder Ulrich von Hassel, an den Staatsstreichplänen um
Stauffenberg beteiligt waren, so war es doch vor allem das Militär, das
den bürgerlichen Widerstand ausmachte.
Das Verhältnis der Offiziere zur NS-Bewegung war unterschiedlich.
Während untere und mittlere Offiziere ab 1918/19 zu den
konterrevolutionären Freikorps und zum Grundstein der Nazi-Bewegung
gehörten, standen die führenden Ränge des Militärs den Nazis eher
kritisch gegenüber. Mit ihrer adligen Herkunft blickten sie verächtlich
auf den “Kleinbürger” Hitler und die “braune Pest” herab, wie es
Stauffenberg formulierte.
Vom Wertekodex und den politischen Zielen her kamen sich Offizierskorps
und Nazi-Bewegung aber sehr nahe. Auch die Offiziere wollten eine
autoritäre Staatsform und eine nationale und antiliberale Gesellschaft,
auch sie wollten ein Wiedererstarken des Militärs und eine deutsche
Hegemonie über Europa. Der “Schandfrieden” von 1918 sollte rückgängig
gemacht werden.
Hitler war zunächst auf die Unterstützung des Militärs angewiesen. Durch
den Ausbau seines Herrschaftsapparates, den Aufbau eigener bewaffneter
Organe, die Ausschaltung unliebsamer Offiziere und durch seinen
Oberbefehl über die Wehrmacht entzog sich Hitler aber immer mehr einer
vermeintlichen Kontrolle durch die Offiziere, die sich einige von diesen
erhofft hatten.
Das war der eine Grund für eine wachsende Bereitschaft einiger Offiziere
zum “Widerstand”. Der weitaus wichtigere Grund aber bestand darin, dass
die etwas weitsichtigeren Teile des Staatsapparates im verbissenen
Kriegskurs der Staatsführung eine zunehmend existenzielle Bedrohung der
Herrschaft des deutschen Bürgertums sahen. Im Laufe der Jahre 1942/43
wurde dafür dann immer weniger Weitsicht nötig.
Schon im November 1937 warnten Feldmarschall von Blomberg, Armeegeneral
von Fritsch und Reichsaußenminister von Neurath vor einem zu aggressiven
Kriegskurs. Sie meinten, dass das Reich für einen größeren Konflikt
militärisch und wirtschaftlich noch nicht genügend vorbereitet war.
1938 spitzte sich die Situation weiter zu. Marion Gräfin Dönhoff, bemüht
die imperialistischen Absichten der Offiziere zu verbergen, schrieb
1946: “Der erste Versuch, eine planmäßige Opposition zu organisieren,
fällt in das Jahr 1938, nachdem im Frühjahr jenes Jahres durch die
Besetzung Österreichs klar geworden war, dass die Außenpolitik des
Nationalsozialismus zwangsläufig zu einer europäischen Katastrophe
führen musste.”
Im August 1938 übte Generaloberst Ludwig Beck scharfe Kritik an Hitler,
weil er befürchtete, dass dessen Vorgehen gegen die Tschechoslowakei
verfrüht sei und Deutschland in eine Niederlage treiben würde. Beck
befürchtete einen Sieg der politischen Linken. Sein Gegenmittel: “Für
den Führer, gegen den Krieg”. Beck trat zurück. Die Heeresführung
verbündete sich kurz darauf zum ersten Mal gegen Hitler. (Es sollte das
einzige Mal bleiben.) Für den Fall eines Angriffs auf die
Tschechoslowakei sollte Hitler festgenommen werden. Als Hitler auf der
Münchner Konferenz eine diplomatische “Lösung” der “Sudetenfrage”
erreichte, nahm die Heeresführung von ihren Plänen Abstand, weil ihre
Befürchtungen von einem zu überhasteten Vorgehen verflogen waren.
Nach der Eroberung Polens 1939 und den damit verbundenen Massenmorden
wurde weiteren Offizieren mulmig. Stauffenbergs Mitverschwörer
Hans-Bernd von Haeften nannte Hitler einen “Vollstrecker des Bösen”. Die
anfänglichen Erfolge im Krieg hielten den Staatsapparat aber noch
zusammen. Einige Militärs hatten Bedenken gegenüber dem
Frankreich-Feldzug. Aber als Frankreich eingenommen war, war es wieder
vorbei mit ihren Überlegungen zum “Widerstand”. Mit zunehmender
Bedrohung nahmen die Spaltungen zu und immer mehr Offiziere waren bereit
sich Hitler in den Weg zu stellen, “um das Reich zu retten”
(Stauffenberg, Sommer 1943).
Der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1940 stärkte zunächst das
Bündnis zwischen dem Regime und der Wehrmachtsführung, da die Militärs
die Sowjetunion auch als ideologischen Feind sahen. Aber der Feldzug
brachte die Wende. Im Winter 1941/42 zeichnete sich eine Niederlage der
Wehrmacht bereits ab. Fieberhaft bastelte Oberstleutnant Henning von
Tresckow an der Ostfront und bis in zivile Berliner Kreise hinein an
einem oppositionellen Netzwerk.
Im Januar 1943 stellten die Alliierten die Forderung nach
bedingungsloser Kapitulation auf. Das drängte den militärischen
Widerstand zu Taten, weil das Attentat einer Niederlage zuvorkommen
musste, um eventuell noch bessere Friedensbedingungen auszuhandeln.
Andererseits bestanden Skrupel angesichts der Stärke der Roten Armee und
der Drohung mit der bedingungslosen Kapitulation. Man wollte durch eine
weitere Destabilisierung der militärischen Lage nicht als Verräter dastehen.
Die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad im Februar 1943 machte letzte
Illusionen zunichte. Stauffenberg kannte als Nachschubplaner den Zustand
der Wehrmacht genau. Seine Hoffnungen, die Sowjetunion erobern zu
können, um dann als Armee das “Gesetz des Handels” an sich zu reißen und
die Staatsführung auszuschalten, waren dahin. Er stieß zu Tresckows Gruppe.
Im Laufe des Jahres scheiterten zwei Attentatsversuche von Offizieren in
der Heeresgruppe Mitte um Tresckow nur knapp. Attentatsversuche von
Offizieren, die mit Stauffenberg in Kontakt standen, scheiterten im
November 1943 und im Januar 1944. Im März versuchte ein durch Tresckow
überzeugter Offizier Hitler zu erschießen. Auch er scheiterte.
Das Vorrücken der Roten Armee war aus der Sicht adliger Offiziere eine
Katastrophe. Es gefährdete unmittelbar ihren Besitz, ihre Stellung und
ihr Leben und bedrohte ihre Klasse mit der Enteignung. Goerdeler, der im
Falle eines erfolgreichen Staatsstreiches Reichskanzler werden sollte,
schrieb 1943 in einer Denkschrift: “Die beiden angelsächsischen
Großreiche haben wie Deutschland ein Lebensinteresse, dass der
Bolschewismus nicht weiter nach Westen vordringt. Nur Deutschland kann
den Bolschewismus aufhalten.” Das Attentat am 20. Juli 1944 war also ein
letzter Versuch, durch die Beseitigung Hitlers aus Deutschlands Innerem
heraus eine Niederlage abzuwenden, möglicherweise einen schnellen
Frieden im Westen zu erreichen, um den Krieg gegen die Sowjetunion
weiter führen zu können.
Um die Unabhängigkeit des deutschen Staates einigermaßen zu bewahren,
musste aus der Sicht der Offiziere die Staatsführung ausgetauscht
werden. Die “Ehre” der traditionellen herrschenden Klasse sollte bewahrt
werden, um sich bessere Bedingungen für die zukünftige Herrschaft zu
sichern. Goerdeler schreibt zu den Plänen des bürgerlich-militärischen
Widerstands: “Deutschland bedarf einer monarchischen Spitze, die eine
stetige Innen- und Außenpolitik gewährleistet. Eine wählbare Spitze
vermag dies nicht.”
Versagen der KPD
Nur die Arbeiterbewegung hätte den Faschismus verhindern können. Aber
die Führung der Arbeiterparteien KPD und SPD versagten. Ihre Politik war
nicht dazu in der Lage, eine Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen die
Nazi-Bedrohung aufzubauen.
Die KPD hatte nach dem Sieg der stalinistischen Bürokratie in der
Sowjetunion und der Stalinisierung der Kommunistischen Internationale
den Zickzack-Kurs von Stalins Außenpolitik mitgemacht. Als Stalin die
Parole ausgab: “Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel
des Faschismus”, bezeichnete auch die KPD SozialdemokratInnen als
“Sozialfaschisten”. Im Kampf gegen die Nazis forderte die KPD die
Mitglieder der SPD auf, sich für die Herstellung einer Einheitsfront der
Führung der KPD unterzuordnen.
Trotzki und seine AnhängerInnen überschütteten die KPD mit Warnungen,
dass dieser katastrophale Kurs die Arbeiterklasse in die Niederlage
treibt: “Ohne Verzug muss endlich ein praktisches System von Maßnahmen
ausgearbeitet werden ... mit dem Ziel des tatsächlichen Kampfes gegen
den Faschismus. Die Frage des Betriebsschutzes, der freien Tätigkeit der
Betriebsräte, der Unantastbarkeit der Arbeiterorganisationen und
-einrichtungen, der Waffenlager, die von den Faschisten geplündert
werden können, Maßnahmen für den Fall der Gefahr, die Koordinierung der
Kampfhandlungen der kommunistischen und sozialdemokratischen Abteilungen
... Auf diesem Boden ist ein Übereinkommen mit den sozialdemokratischen
und gewerkschaftlichen Organisationen nicht nur zulässig, sondern
Pflicht. Darauf aus ‚prinzipiellen‘ Erwägungen verzichten (in
Wirklichkeit aus bürokratischer Dummheit oder noch ärger: aus Feigheit),
heißt, direkt und unmitelbar dem Faschismus zu helfen.”
Die SPD hingegen beschimpfte Kommunisten als “rotlackierte Faschisten”.
In der Theorie kritisierte die SPD-Führung das kapitalistische
Krisenmanagement der Brüning-Regierung zwar scharf, tolerierte Brüning
aber als das “kleinere Übel”. Als Antwort auf das Wachstum der
Nazi-Bewegung fielen der SPD-Führung nur Wahlaufrufe ein.
Der Preis war die Zerschlagung der Arbeiterbewegung als eine der ersten
Maßnahmen des neuen Regimes. Erst mit einer gebrochenen Arbeiterbewegung
stand den Kapitalisten der Weg zur erneuten Aufrüstung offen. Aber die
Arbeiterbewegung war nicht tot. Trotz Lebensgefahr kämpften ihre
AktivistInnen weiter gegen das Regime.
Bis in die 40er Jahre haben sie den Widerstand durchgehalten und die
Hauptlast der Unterdrückung getragen. So meldete eine Polizeistatistik,
dass der April 1939 ein durchschnittlicher Monat gewesen sei:
Festgenommen wurden 357 Oppositionelle, davon 223 aus der KPD, 37 andere
aus der Arbeiterbewegung und 97 sonstige. Im April 1943 wurden 1387
Festnahmen aus der Arbeiterbewegung und 529 Festnahmen aus dem
bürgerlichen Lager vermerkt.
Leider konnte unter den Bedingungen faschistischer Herrschaft keine
Bewegung aufgebaut werden, die die Nazi-Diktatur wirklich hätte stürzen
können. Aber wie viele Traditionen erhalten blieben zeigte sich 1945,
nach der Befreiung, als im ganzen Land “Antifa-Komitees” aus dem Boden
sprossen. ArbeiterInnen organisierten sich sofort und begannen damit,
Nazis von ihren Posten zu vertreiben und die herrschende Klasse für ihre
Zusammenarbeit mit den Nazis anzugreifen.
Klasse und Krieg
Und trotz der katastrophalen Niederlage der Arbeiterbewegung 1933 war es
doch keine bürgerliche Kraft, die das Regime zerschlug. Es waren die
ArbeiterInnen, SoldatInnen und PartisanInnen der Sowjetunion, die der
Wehrmacht mit einer unglaublichen Kraftanstrengung das Genick brachen.
Die Bürgerlichen ehren den Kampf der westlichen Alliierten. Mit großen
Feierlichkeiten wurde der 60. Jahrestag des “D-Day” gefeiert, die
Landung der britischen und US-Truppen in der Normandie. Es wird der
Eindruck erweckt, als hätten die Westalliierten den Faschismus besiegt
und Deutschland die Demokratie gebracht.
Doch was war der D-Day im Vergleich zu dem gewaltigen Blutzoll der
Sowjetunion? Was war der militärische Beitrag der Westalliierten im
Vergleich mit der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad? Wo waren die
Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai?
Wenn wir die Leistungen der Roten Armee und den proletarischen
Klassencharakter der Sowjetunion betonen, dann muss besonders
hervorgehoben werden, dass die stalinistische bürokratische Diktatur den
antifaschistischen Widerstand, die sowjetische Wirtschaft und die
Kampfkraft der Roten Armee erheblich schwächte.
Stalins Politik hat nicht nur den Widerstand vor 1933 sabotiert. Auch
nach 1933 schwächte er den Widerstand, zum Beispiel durch die
Auslieferung von 800 deutschen AntifaschistInnen an das Hitler-Regime
und durch den Hitler-Stalin-Pakt, der die kommunistische Bewegung auf
der ganzen Welt demoralisierte und auch in Deutschland zu einem Rückgang
des Widerstands führte.
In der Sowjetunion wurde jegliche Arbeiterdemokratie erstickt.
Planwirtschaft kann sich aber nur durch die direkte demokratische
Kontrolle und Verwaltung der ArbeiterInnen entfalten. Deshalb wurde die
Industrie nur mit erheblichen Ungleichgewichten aus dem Boden gestampft.
Die Leistungen der sowjetischen Arbeiterklasse im Zweiten Weltkrieg
zeigen aber auch, wozu eine Planwirtschaft mit motivierten ArbeiterInnen
in der Lage ist: 1523 Industriebetriebe wurden in der Sowjetunion
abmontiert, außer Reichweite der Wehrmacht aufgebaut und wieder in
Betrieb genommen.
Auch die Rote Armee litt unter der bürokratischen Engstirnigkeit der
Führung. So wurde die Parole “Kein Schritt zurück!” ausgegeben. Allein
in Stalingrad wurden 13.500 Rotarmisten als “Deserteure” hingerichtet,
weil sie nicht geradewegs in den Tod gelaufen waren.
Trotz alledem zeigte der Sieg der Roten Armee die Überlegenheit der
Planwirtschaft über den Kapitalismus. Der britische Trotzkist Ted Grant
schrieb 1943: “Die beispiellosen Siege der Roten Armee stellen einen
Faktor von welterschütternder Bedeutung dar. Es kann mit den Siegen von
Napoleon in den Kriegen gegen das feudale Europa verglichen werden. ...
Trotz schrecklicher Niederlagen und Leiden hat sich die Rote Armee
wieder gesammelt, wie es keine andere Armee in der Welt angesichts
solcher Niederlagen gekonnt hätte. ... Letztlich können diese Siege nur
auf die ungeheuren materiellen und psychologischen Vorteile durch die
Oktoberrevolution zurückgeführt werden.”
Nur der Kampf der Sowjetunion hat letztlich einen antifaschistischen
Charakter getragen. Denn im Gegensatz zu den imperialistischen Staaten
prägt eine Planwirtschaft nicht Kapital-akkumulation, sondern die
Produktion von Gebrauchswerten. Deshalb wurde die sowjetische Politik
auch nicht durch die Notwendigkeit angetrieben, Kapital zu exportieren.
Alle anderen Staaten, die auf der Basis des Kapitalismus agierten,
vertraten notwendigerweise auch die Profit- und Machtinteressen der
eigenen Kapitalistenklasse. In den 30er Jahren hatte zum Beispiel
Großbrittanien die Sowjetunion als den eigentlichen Feind angesehen und
Nazi-Deutschland unterstützt. Churchill äußerte sich damals begeistert
über Hitlers Beschäftigungspolitik und über die Ordnung, die Mussolini
in Italien errichtet hatte. Britische und SU-Truppen machten erst dann
eine zweite Front in Europa auf, als klar wurde, dass die Rote Armee
möglicherweise ganz Europa überrennen würde. 1945 meinte Churchill dann,
entsetzt über die Siege der Sowjetunion, man hätte wohl „das falsche
Schwein geschlachtet“.
Gedenken heißt Lehren ziehen
Bürgerliches Gedenken entspricht bürgerlichen Klasseninteressen. Die
Wahrheit darüber, wer den Faschismus an die Macht brachte und wer ihn
besiegte, wird von den Herrschenden heute verdreht, verschwiegen oder
höchstens noch relativiert.
Wir gedenken der Opfer von Krieg und Faschismus, den Abermillionen, die
für die Profitlogik sterben mussten.
Wir gedenken insbesondere der Abertausenden von WiderstandskämpferInnen
der Arbeiter-bewegung, die von Anfang an den Faschismus bekämpften.
Nicht um die Ehre der Nation zu retten, nicht um die Alliierten von der
Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation abzubringen, und schon
gar nicht um dem Kapital eine neue und bessere Chance zur Herrschaft zu
geben. Sie kämpften für das Leben, für die Freiheit, für eine
Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.
Und wir gedenken der ArbeiterInnen, SoldatInnen und PartisanInnen der
Sowjetunion, ohne deren Sieg die Welt heute wahrscheinlich noch sehr
viel barbarischer aussähe.
Gedenken heißt für uns, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und für
unseren heutigen Kampf für eine andere, bessere, sozialistische Welt zu
beherzigen:
Nazis müssen mit allen notwendigen Mitteln bekämpft werden. Ihre
Organisationen müssen zerschlagen werden, solange sie noch klein sind.
Wir können uns dabei weder auf den Staat, noch auf bürgerliche Kräfte
verlassen. Nötig sind Massenmobilisierungen der Beschäftigten und ihrer
Gewerkschaften, von linken, antifaschistischen und
Migranten-Organisationen, um alle Nazi-Aktivitäten zu verhindern.
Dabei muss auch gegen den Sozialkahlschlag mobilisiert werden, um zu
verhindern, dass die Nazis mit ihrer sozialen Demagogie bei sozial
Benachteiligten punkten. Auch der staatliche Rassismus ist mitschuldig
am Anwachsen der Nazi-Banden und an der Spaltung der Beschäftigten in
“Deutsche” und “Ausländer”. Deshalb sollte die Arbeiterbewegung jegliche
Benachteiligung von Menschen ohne deutschen Pass zurückweisen.
Die herrschende Klasse hat eindrucksvoll bewiesen, dass ihr System zu
Faschismus und Krieg führt. Nur wenn wir den Kapitalismus abschaffen,
können wir weitere Katastrophen verhindern. Das ist keine Frage einer
fernen Utopie, sondern konkrete Notwendigkeit, wenn wir die sozialen
Grausamkeiten der Herrschenden stoppen wollen. Wie Bernd Riexinger von
verdi-Stuttgart auf dem Kongress der Wahlalternative am 20.6.2004 sagte:
“Die Wirtschaft argumentiert ganz grundsätzlich, dass sie sich das
Soziale nicht mehr leisten kann. Dann müssen wir uns auch fragen, ob wir
uns diese Wirtschaft noch leisten können!”
Der Stalinismus in der Arbeiterbewegung hat zu furchtbaren Niederlagen
geführt. 1933 ist nur das schlimmste Beispiel von vielen. Nach 1945
halfen Kommunistische Parteien in ganz Europa mit, den Kapitalismus
durch “Volksfront”-Regierungen mit bürgerlichen Kräften zu bewahren. Die
Unterdrückung der Arbeiterklasse in den stalinistischen Staaten hat den
Boden dafür bereitet, dass Illusionen in den Kapitalismus entstanden und
1989-91 die Planwirtschaften zerstört werden konnten.
Wir sind überzeugt, dass nur eine sozialistische Welt eine lebenswerte
Zukunft garantieren kann. Für eine Zukunft ohne Armut, Ausbeutung und
Unterdrückung lohnt es sich zu kämpfen. Der mutige Einsatz der
antifaschistischen Kämpferinnen und Kämpfer, von denen so viele Namen im
Dunkel der Geschichte geblieben sind, ist uns Beispiel und Vorbild.
von Christoph Wälz, Leipzig
Literaturtipps zum Thema:
Mehrere sehr gute Texte von Leo Trotzki zum deutschen Faschismus finden
sich auf www.sozialistische-klassiker.org
Kurt Pätzold, Manfred Weißbecker: Geschichte der NSDAP. 1920 bis 1945.
Köln 1998/2002.
Allan Merson: Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland. Bonn 1999.
Robert Bechert: Die gescheiterte Revolution. Köln 1999. (Becherts Buch
über die Revolution/Konterrevolution in der DDR 1989-90 geht auch auf
die Entstehungsphase des stalinistischen Staates ein. Erhältlich auf dem
SAV-Büchertisch.)
SAV-Broschüre “Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung”
(SAV-Büchertisch)
Ted Grant: Die Kluft im alliierten Lager verbreitert sich. 1943 (in der
rubrik Geschichte auf www.sozialismus.info)
Die Zeitschrift G/Geschichte hat in ihrer Juli-Ausgabe 2004 einen sehr
lesenswerten Schwerpunkt zum Thema Widerstand. Es werden verschiedene
Felder, vor allem des bürgerlichen Widerstands, beleuchtet.
Mehr Informationen über die Mailingliste Sav-a