[SAV-newsletter] Medien lügen: Montagsdemos wachsen weiter
SAV Zentrale
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Sa Aug 28 10:58:28 CEST 2004
Politiker und bürgerliche Medien geben sich nicht wenig Mühe den
aufziehenden heißen Herbst abzukühlen und der Bewegung der
Montagsdemonstrationen Stöcke zwischen die Beine zu werfen. Kein Tag
verging in der letzten Woche ohne dass Presse und Fernsehen auf die
Spaltungstendenzen innerhalb der OrganisatorInnen der
Montagsdemonstrationen in Leipzig und Berlin hingewiesen hätten bzw. vor
einer Instrumentalisierung der Proteste durch Rechtsextremisten gewarnt
hätten. Damit sollten die zehntausenden DemonstrantInnen verunsichert
und von einer Teilnahme an den Demos abgehalten werden. Und es soll der
Eindruck erweckt werden, die Bewegung habe ihren Zenit überschritten und
sei schon wieder auf dem absteigenden Ast. Die Strategie ging nicht auf.
Am 23. August demonstrierten mehr Menschen in mehr Städten der Republik
gegen Hartz IV und die asoziale Politik der Schröderregierung – auch
wenn die Medien das Gegenteil behaupten. Doch den Zahlen von Polizei und
kapitalistischen Medienkonzernen war noch nie zu trauen. So behaupten
viele Medien in Westdeutschland haben nur 3.000 Menschen an
Demonstrationen teilgenommen. Doch an dutzenden Demonstrationen in
Westdeutschland nahmen jeweils zwischen 500 und 2.000 Menschen teil:
1.500 in Köln, jeweils 1.200 in Dortmund und Hamburg, jeweils 1.000 in
Bochum, Gelsenkirchen, Saarbrücken und Kassel, 700 in Oldenburg, jeweils
500 in Aachen, Bremerhaven und München – um nur einige zu nennen.
Auch im Osten waren die Demonstrationen, mit der Ausnahme von Magdeburg,
größer oder ähnlich groß wie in der Vorwoche. In Leipzig demonstrierten
30.000, in Berlin wieder 15.000. Besonders, die zum Teil sehr hohe
Beteiligung in kleineren Städten, drückt aus, dass es sich in
Ostdeutschland um eine Massenbewegung handelt, die breite Teile der
Bevölkerung erfasst hat: 3.000 in Cottbus, 2.500 in Dessau, 4.500 in
Chemnitz, 3.000 in Aschersleben, 2.500 in Gera, 1.000 in Halberstadt,
5.000 in Halle, 1.200 in Jena, 8.000 in Magdeburg, 1.000 in Plauen, 800
in Schwedt, 3.500 in Schönebeck, 2.500 in Senftenberg, 3.500 in
Stralsund und und und! Insgesamt waren diesmal ca. 130.000 Menschen in
160 Städten an Demonstrationen beteiligt. Auf der Website von Attac
findet man mittlerweile eine Liste
(http://www.attac.de/genug-fuer-alle/termine) von 178 Städten, in denen
Montagsdemonstrationen für den 30. August geplant sind.
Diese Zunahme findet statt, obwohl die Gewerkschaften immer noch keinen
bundesweiten Aufruf zur Teilnahme an den Montagsdemonstrationen gemacht
haben. Damit setzt sich die Politik der Gewerkschaftsspitzen fort, die
immer nur unter erheblichem Druck durch die Basis zur Organisierung von
Protesten gezwungen wurden, aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaften
Widerstand gegen ihre Parteifreunde aus SPD und Grünen organisiert
haben. Vor Ort haben zwar in den meisten Fällen der DGB oder
verschiedene Einzelgewerkschaften begonnen zu den Demonstrationen mit
aufzurufen, jedoch gibt es bisher keine wirkliche Mobilisierungskampagne
in den Betrieben. Vor diesem Hintergrund ist es umso beachtlicher, dass
auf den Demonstrationen ein wichtiger Anteil von ArbeiterInnen und
Angestellten mit dabei ist.
PDS
Auf vielen Demonstrationen in Ostdeutschland spielt die PDS eine Rolle
und gehört zu den Organisatoren. Die Ablehnung von Hartz IV in Worten
und der aktive Sozial- und Lohnraub, den die PDS als Regierungspartei in
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin betreibt, passen nicht zusammen. Die
PDS-Führung heuchelt. Sie redet gegen Hartz IV und setzt die Gesetze in
den Ländern und Kommunen mit um. O-Ton Lothar Bisky: „Als
Regierungspartei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hat sich die PDS
an Gesetze wie Hartz IV zu halten.“ Er hätte auch sagen können: wir
brechen lieber den Armen das Genick als ein ungerechtes Gesetz, das
sowieso keine mehrheitliche Unterstützung in der Bevölkerung hat (nach
Umfragen unterstützen zwei Drittel der Bevölkerung die Montagsdemos, im
Osten sogar 85 Prozent).
Würde die PDS-Führung ihre Opposition gegen Hartz IV ernst meinen, dann
würde sie erstens nicht über Korrekturen sprechen, sondern konsequent
die Rücknahme fordern. Zweitens würde sie entweder aus den Regierungen
zurücktreten, um sich nicht zum Handlanger der Bundesregierung zu machen
oder sie würde auf der Basis der Massenmobilisierung in einem Akt von
zivilem Ungehorsam die Umsetzung der Hartz-Gesetze auf Landesebene
boykottieren. Viele Menschen erkennen die Doppelzüngigkeit der
PDS-Politiker, sehen sie aber trotzdem als das kleinere Übel. Das ist
der Grund für den sich abzeichnenden großen Stimmenzuwachs für die PDS
bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September. Das
bedeutet aber keine stabile Unterstützung für die Politik der PDS oder
gar einen Zustrom von ArbeiterInnen und Jugendlichen in die Partei.
Wie weiter?
Die Bewegung befindet sich weiterhin auf der aufsteigenden Kurve und sie
ist jetzt schon mehr als eine Bewegung nur gegen Hartz IV. Für viele der
DemonstrantInnen ist Hartz IV nur der Tropfen, der das Fass zum
Überlaufen gebracht hat. Hartz 1 bis 3, Gesundheitsreform, die ganze
Agenda 2010, Lohnkürzungen – in den Protesten drückt sich die ganze Wut
gegen die Angriffe von Regierung und Kapital aus. Dazu passt eine
Umfrage, die in der FAZ veröffentlicht wurde: drei Viertel der
Ostdeutschen und die Hälfte der Westdeutschen hält den Sozialismus für
eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde.
Es stellt sich jedoch die Frage, wie lange dies noch der Fall sein wird,
sollte es nur bei der wöchentlichen Organisierung von
Montagsdemonstrationen bleiben. Die Stimmung in der Arbeiterklasse (d.h.
der erwerbstätigen und erwerbslosen lohnabhängigen Bevölkerung) für
einen heißen Herbst ist zweifellos gegeben. Und das nicht erst seit vier
Wochen. Es gibt seit der Großdemonstration vom 1. November 2003 gegen
die Agenda 2010 eine Kette von Massenmobilisierungen, die nur durch
kurze Phasen der relativen Ruhe unterbrochen wurden. Die Arbeiterklasse
hat in diesem Zeitraum jedes ernsthafte Angebot zum massenhaften Protest
auch massenhaft wahrgenommen. Das gilt für den 1.11. selber, für die
Arbeitsniederlegungen zur Verteidigung der Tarifautonomie im November
und Dezember 2003, für die Warnstreikwelle in der Metalltarifrunde, für
die Massendemonstrationen der 500.000 am 3. April 2004, für die
Arbeitsniederlegungen und Proteste gegen Arbeitszeitverlängerung und
Lohnverluste bei Siemens und DaimlerChrysler und jetzt für die
Montagsdemonstrationen.
Aber Montagsdemonstrationen alleine werden Hartz IV nicht stoppen
können. Dies werden die durch die Bewegung mobilisierten und
radikalisierten ArbeiterInnen und Erwerbslosen auch erkennen. Die
Antwort darauf kann eine Radikalisierung von Protestformen von Teilen
der Betroffenen sein, wie wir es bei den Eierwürfen auf Schröder in
Wittenberge und den Störaktionen gegen Wahlkampfauftritte von
SPD-Politikern in anderen Städten gesehen haben. Die Wittenberger
DemonstrantInnen haben den Medien, die die Montagsdemos klein geredet
haben eine passende Antwort gegeben: wir können auch anders!
Die Ausdauer und der lange Atem der DemonstrantInnen, vor allem in
Ostdeutschland, sollte nicht unterschätzt werden. Hier kommt der Frust
und die Desillusionierung von 14 Jahren vereintem Deutschland hoch und
entlädt sich in den Protesten.
Im Westen steht die Bewegung hingegen noch ganz am Anfang und wird mit
dem Ende der Sommerferien einen weiteren Aufschwung nehmen können.
Ebenso wird der Druck innerhalb der Gewerkschaften zunehmen und es ist
nicht ausgeschlossen, dass diese durch ihre Basis dazu gezwungen werden
ernsthafter zu mobilisieren.
Weitere Faktoren, die der Bewegung neue Impulse geben könnten werden die
zu erwartenden Wahldesaster der SPD bei den kommenden Landtagswahlen
sein und die Tatsache, dass mit der Entwicklung der Wahlalternative
Arbeit und Soziale Gerechtigkeit nun die Perspektive einer
parlamentarischen Interessenvertretung der Proteste besteht, die den
Druck auf die Regierenden erhöhen wird. Das Auftreten Lafontaines auf
der Montagsdemonstration am 30. August in Leipzig wirde diesen Effekt
verstärken.
Trotzdem braucht die Bewegung eine Steigerung, wenn sie nicht früher
oder später an Dynamik verlieren will. Unter Teilen der Organisatoren
wird über die Möglichkeit einer bundesweiten Demonstration am 2. Oktober
diskutiert. Dieser Vorschlag ist richtig und verdient Unterstützung.
Eine bundesweite Massendemonstration am Tag vor den Einheitsfeiern in
Erfurt kann eine große Ausstrahlungskraft haben und Hunderttausende
mobilisieren. Es muss jedoch ab sofort der Kampf in den Gewerkschaften
geführt werden, damit diese zu einer solchen Demonstration aufrufen
tatsächlich in den Betrieben mobilisieren und sie zu einer wirklich
bundesweiten Manifestation mit großer Beteiligung aus Ost und West zu
machen.
Eine solche Demo würde nur noch mehr die Frage nach weiteren
Aktionsformen aufwerfen. Entscheidend wird sein, ob die Verbindung
zwischen dem Kampf gegen Hartz IV und den Kämpfen gegen
Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub in den Betrieben gezogen wird.
Betriebliche Auseinandersetzungen bei Volkswagen, Opel, MAN, Karstadt
und vielen anderen Betrieben sind für den Herbst vorprogrammiert. Daraus
und aus den Montagsdemos muss ein Kampf gegen die Offensive von
Regierung und Kapital gemacht werden.
Soll dieser den hinter der Regierung stehenden Kapitalisten wirklich weh
tun, müssen durch Streiks ihre Profite getroffen werden. Nach einer
bundesweiten Großdemonstration muss ein bundesweiter Streik- und
Protesttag kommen. Dafür setzt sich die SAV in der Bewegung und in den
Gewerkschaften ein.
Sascha Stanicic, Berlin, 27.8.2004
Die nächsten wichtigen Termine der Bewegung
jeden Montag: DEMONSTRIEREN
18.9.2004: landesweite Demonstration in NRW –
www.so-wollen-wir-arbeiten.de/nrw-netzwerk_gegen_sozialkahlschlag.htm
18.9.2004: Aktionstag der Herbstkampagne in Hessen
18./19.9. Aktionskonferenz in Frankfurt/Main
www.alle-gemeinsam-gegen-sozialkahlschlag.de
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