[SAV-newsletter] Zur Generalstreikdebatte

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Mo Feb 2 09:29:36 CET 2004


Die Sozialistische Alternative (SAV) tritt seit der Verkündung der 
Agenda 2010 durch Kanzler Schröder für einen eintägigen Generalstreik 
ein und richtet diese Forderung an die Führungen der Gewerkschaften, 
denn nur die Gewerkschaften haben die Möglichkeit einen solchen 
Generalstreik durchzuführen.

Warum Generalstreik?

Ein eintägiger Generalstreik drückt den mindesten Kampfschritt aus, der 
nötig wäre, um die Agenda 2010 und das Sozialkahlschlagsprogramm von 
Regierung und Kapital zurück zu schlagen. Ein solcher Generalstreik 
beinhaltet zwei notwendige Elemente für einen erfolgreichen Widerstand:
1.Demonstrationen allein reichen nicht, weil sie den Kapitalisten nicht 
weh tun und weil sie aufgrund des Fehlens einer starken politischen 
Alternative zur neoliberalen Einheitspartei (von CSU bis zur PDS in 
Berlin) nicht zu einer unmittelbaren politischen Bedrohung werden. 
Streiks sind nötig, weil sie die Profite treffen und das politische 
Bewusstsein der abhängig Beschäftigten sprunghaft entwickeln können.
2.Alle sind vom Sozial- und Bildungsraub betroffen, also sollten sich 
auch alle gemeinsam zur Wehr setzen. Nur wenn sich die betroffenen 
ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen nicht gegeneinander 
ausspielen lassen, kann Widerstand erfolgreich sein.
Die Frage des eintägigen Generalstreiks erwächst also nicht aus einer 
Revolutionsromantik oder einem hang dazu „immer“ einen Generalstreik zu 
ersehnen, sondern aus den konkreten Bedingungen, die sich hier und heute 
stellen.

Über den Umgang mit Losungen

Die oben beschriebenen objektiven Gründe für einen Generalstreik sind 
eine notwendige, aber noch nicht eine hinreichende Voraussetzung dafür 
die Losung nach einem solchen auch in der Arbeiterbewegung aufzustellen. 
Die Losung muss mit dem Bewusstsein, und in diesem Fall mit der 
Entwicklungsrichtung des Klassenkampfes, korrespondieren.
Die Entwicklungsrichtung des Klassenkampfes in der Bundesrepublik ist im 
letzten Jahr eine aufsteigende, wenn auch nicht geradlienige Kurve. Dies 
gilt vor allem für den Ostmetallerstreik, der nicht an den streikenden 
KollegInnen gescheitert ist, sondern an der Sabotage der IG 
Metall-Führung, und für die soziale Protestbewegung von November und 
Dezember. Jetzt steht mit der Metalltarifrunde möglicherweise eine 
nächste große Auseinandersetzung an.
Dies findet statt vor dem Hintergrund des Aufschwungs von Klassenkämpfen 
in ganz Europa: Generalstreiks und  Massenstreiks in Italien, 
Griechenland, Spanien, Frankreich, Portugal, Österreich und anderen 
Ländern. Deutschland ist keine Insel des sozialen Friedens. Hier 
versuchen die Gewerkschaftsspitzen der rot-grünen Bundesregierung noch 
den Rücken frei zu halten. Das gelingt ihnen aber immer weniger und die 
Stimmung für Protest und die Bereitschaft an Mobilisierungen 
teilzunehmen steigt.
Europaweit hat die Arbeiterklasse ein Comeback gefeiert, befinden wir 
uns in einer Phase von Streiks und Massenstreiks. Auch die 
Bundesrepublik befindet sich am Beginn einer solchen Phase.

Keine Stimmung in der Arbeiterklasse für Generalstreik?

In der neuen sozialen Protestbewegung gegen den Sozialkahlschlag, die 
aufs Engste mit der Großdemonstration vom 1. November 2003 verbunden 
ist, und unter Gewerkschaftsaktiven stößt diese Losung auf ein geteiltes 
Echo. Dies zeigte sich zuletzt auf der Aktionskonferenz „Alle gemeinsam 
gegen Sozialkahlschlag“ vom 17. und 18. Januar 2004 in Frankfurt/Main. 
Hier wurde die Streikfrage heiß debattiert. Während sich eine 
überwältigende Mehrheit der Konferenz grundsätzlich für die 
Notwendigkeit (politischer) Streiks aussprach, gab es viel Skepsis 
gegenüber der Losung eines eintägigen Generalstreiks. Die einen halten 
einen solchen grundsätzlich für illusorisch, andere fragen „warum nur 
einen Tag?“, wieder andere betonen die schwierige Rechtslage 
hinsichtlich politischer Streiks in der Bundesrepublik und mancher 
betont ganz allgemein „dass das alles ja nicht so einfach ist und die 
KollegInnen in den Betrieben nicht so leicht zu mobilisieren sind.“
Spricht man mit diesen KollegInnen und fragt sie nach ihrer Meinung über 
einen Generalstreik, erhält man meist positive Antworten. Jahrelang 
schon schauen viele neidisch nach Italien, Frankreich, Spanien (und 
mittlerweile sogar Österreich) und wünschen sich, dass es auch in 
Deutschland mal zu solchen Formen des kollektiven Widerstands und 
Massenstreiks kommt. Dass sich alle gemeinsam wehren müssen, liegt für 
viele auf der Hand. Dementsprechend positiv war zum Beispiel die 
Resonanz auf die Unterschriftenaktion der SAV für einen eintägigen 
Generalstreik bei der Demonstration am 1. November 2003. Bei vielen 
Mobilisierungen, ob schon im Mai bei verdi-Demonstrationen in Berlin, in 
Stuttgart bei Mobilisierungen der Metaller oder in Mannheim bei 
Demonstrationen der Alstom-Beschäftigten, gab es Transparente und 
Sprechchöre, die einen Generalstreik forderten.
Die Lage ist also paradox: während viele gewerkschaftliche AktivistInnen 
und auch die Aktiven in den sozialen Bewegungen, von Zweifeln geplagt 
werden, scheint die Bereitschaft in der Masse der Beschäftigten zu einem 
Generalstreik ausgeprägter zu sein. Dieses Paradox ist zu erklären. Die 
Erfahrung von Gewerkschaftsaktiven in den Betrieben und Verwaltungen mit 
Schwierigkeiten ihre KollegInnen zu mobilisieren sind real und wurden 
über viele Jahre gemacht. Diese Erfahrungen mit der mühsamen täglichen 
Kleinarbeit lasten schwer auf dem Bewusstsein vieler AktivistInnen und 
beeinflussen den Blick auf die Ereignisse und die Einschätzung des 
Machbaren. Doch die Frage ist: was ist der Grund für diese 
Schwierigkeiten? Gibt es keine Kampfbereitschaft, gar ein mangelndes 
Problembewusstsein unter den KollegInnen (wie uns Gewerkschaftsführung 
und Arbeitgeber ja immer weis machen wollen)? Tatsache ist, dass alle 
ernsthaften Angebote zu Kampfmaßnahmen im letzten Jahr massenhaft 
angenommen wurden: der Ostmetallerstreik, der 1. November, die 
Arbeitsniederlegungen und Mobilisierungen gegen die Zerschlagung der 
Tarifautonomie. Oftmals beteiligten sich mehr KollegInnen an den 
Mobilisierungen, als von Seiten der Gewerkschaften geplant oder 
erwartet. Alleine verdi und IG Metall mobilisierten nach dem 1.11. 
350.000 Mitglieder. Dazu kommen die 100.000 vom 1. November, die 
Zehntausenden, die schon vor dem 1.11. an Demonstrationen teilnahmen und 
die zehntausenden Studierenden –  wir haben in zwei, drei Monaten 
Massenmobilisierungen von über einer halben Million Menschen gesehen. 
Die Bereitschaft ist da, aber viele KollegInnen sind skeptisch, wenn es 
um kleine und verzettelte Mobilisierungen geht und haben das Vertrauen 
in die Gewerkschaftsführungen verloren. Die Demobilisierung zu den 
„Schaufensterprotesten“ (Zitat DGB-Vorsitzender Sommer) gegen die Agenda 
2010 vom Mai 2003 und der Abbruch des Ostmetallerstreiks durch die 
IGM-Führung haben dieses Vertrauen weiter untergraben. Kein Kollege und 
keine Kollegin demonstriert oder streikt, weil es Spaß macht. Alle haben 
genug Probleme und Verpflichtungen und würden lieber das Leben genießen. 
Sie sind deshalb nur zu mobilisieren, wenn sie den Eindruck haben, dass 
die Mobilisierungen ernst gemeint sind und dass ihre Führungen kämpfen 
und nicht den nächsten faulen Kompromiss vorbereiten oder wenn sie eine 
Chance sehen erfolgreich Druck auf ihre Führungen auszuüben. Die Wut auf 
die herrschende Politik und die dreisten Angriffe der Arbeitgeber ist 
riesengroß und ist in Widerstand zu verwandeln. Ob dies geschieht und ob 
dies die Form eines Generalstreiks annehmen kann, hängt vor allem von 
der Haltung der Gewerkschaftsführung ab.

Doppelstrategie

Nun gibt es die Sommer-Bsirske-Peters-Gewerkschaftsführung. Was bedeutet 
das? Auf bessere Zeiten warten? Nein, die Demonstration vom 1. November, 
aber auch der Streik von 7.000 Beschäftigten der Privatindustrie und des 
öffentlichen Dienstes in Kassel am 9. Dezember 2003 haben gezeigt, dass 
energische Initiativen „von unten“ (also von gewerkschaftlichen 
Gliederungen, sozialen Bewegungen etc.) erfolgreich sein können.
Die SAV schlägt eine Doppelstrategie vor: den Druck auf die 
Gewerkschaftsführungen verstärken und diese nicht aus der Verantwortung 
entlassen, gleichzeitig aber unabhängige Initiativen für Proteste „von 
unten“ ergreifen. Die Gewerkschaftsführung darf nicht aus der 
Verantwortung entlassen werden, weil sie noch eine weitgehende Kontrolle 
über die Gewerkschaften hat. Diese sind die einzigen Organisationen, die 
das Potenzial zu Massenmobilisierungen haben. Forderungen an die 
Gewerkschaftsführungen zu richten hilft den Mitgliedern diese Führungen 
an ihren Taten zu messen und sich von ihnen zu emanzipieren. 
Gleichzeitig zeigen alle Erfahrungen, dass auch rechte Führungen zu 
Kampfmaßnahmen gezwungen werden können. Zu welchen Schritten die 
Gewerkschaftsführungen bereit sein werden, hängt alleine davon ab, wie 
groß der Druck aus den Betrieben und gewerkschaftlichen Gliederungen 
wird. Dies war auch in der Vergangenheit immer so. Der letzte 
Generalstreik in Westdeutschland kam 1948 als Folge von einer Welle 
lokaler Streiks zustande. Die bundesweite Großdemonstration von über 
350.000 im Juni 1996 gegen die Kohlregierung wurde von einem Bündnis von 
linken Gruppen und Studierenden angestoßen und die Gewerkschaftsführung 
sah sich gezwungen, diese Initiative zu übernehmen, als sie eine 
wachsende Resonanz in den Betrieben und an der Gewerkschaftsbasis bekam. 
Der Druck für weitergehende Kampfmaßnahmen war damals so groß, dass die 
Vorstände der Einzelgewerkschaften diskutierten „ ob es zu einer 
flächendeckenden, betrieblichen und öffentlich erkennbaren gemeinsamen 
Aktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen kann.“

„Streiks macht man, die ruf man nicht aus“ - ???

In der Debatte, die zum Beispiel bei der Aktionskonferenz im Januar zum 
Thema Generalstreik geführt wurde, werden von den KritikerInnen unserer 
Position die unterschiedlichsten Argumente ins Feld geführt. Die Frage 
der Mobilisierbarkeit der Arbeiterklasse haben wir beantwortet. Ein 
anderes „Argument“ ist: „eine Aktionskonferenz kann doch keinen 
Generalstreik ausrufen!“ – Stimmt. Und wir haben das niemals behauptet 
oder gar vorgeschlagen. Es ist jedoch ein schwerer Fehler diese Tatsache 
zum Anlass zu nehmen, um die Frage des Generalstreiks gar nicht erst 
aufzuwerfen und in den Gewerkschaften keinen Kampf dafür zu führen. 
Diese Haltung wird oft mit einem anderen Argument unterstrichen: 
„Streiks macht man, die ruft man nicht aus!“ Große Worte mit wenig 
Inhalt. Nicht alle Streiks sind gleich. Natürlich gab und gibt es 
Situationen, in denen Streiks direkt aus der spontanen Aktion von 
ArbeiterInnen erwachsen, eine Eigendynamik erlangen und passieren ohne 
dass jemand dazu formal aufgerufen hätte. Zwar gibt es auch in solchen 
Fällen immer den subjektiven Faktor, also den oder die Menschen, der 
oder die ausspricht, dass man den Hammer fallen lassen und die Arbeit 
niederlegen soll, vor allem aber ist eine solche Entwicklungsvariante 
nicht zu verallgemeinern. Gerade bei den Massen- und Generalstreiks in 
Italien, Spanien, Griechenland, Österreich, Frankreich, Portugal und 
anderen Ländern in den letzten Monaten und Jahren, waren diese immer 
Folge von Aufrufen der Gewerkschaften.
Die Möglichkeit von spontanen Streikbewegungen sollte linke 
GewerkschaftsaktivistInnen also nicht davon abhalten heute schon die 
Streikfrage in den Gewerkschaften aufzuwerfen, die Argumente gegen 
Streiks zu widerlegen, die KollegInnen zu überzeugen, entsprechende 
Anträge in gewerkschaftliche Gremien einzubringen und den Druck für 
Streiks und für einen eintägigen Generalstreik aufzubauen. Das würde 
auch die Entwicklung spontaner Streiks in Zukunft erleichtern.
Eine politische Debatte und ein politischer Kampf innerhalb der 
Gewerkschaften für die Durchsetzung von Streiks ist in Deutschland umso 
wichtiger, weil die Tradition politischer Streiks begrenzt ist und 
Bosse, Medien und Gewerkschaftsführer immer wieder die „Illegalität“ 
derselben anführen.
Die Begrifflichkeit „politischer Streik“ ist, nebenbei bemerkt, 
angebracht, um einen Streik zu analysieren, hilft aber nicht bei der 
Mobilisierung und bei der Durchsetzung von Streiks, denn sie schafft 
eine unnötige Barriere. Deshalb sollte bei der Argumentation für Streiks 
darauf verzichtet werden.

Warum „nur“ einen Tag?

Von vermeintlich linker Seite, wird unsere Losung für einen eintägigen 
Generalstreik wegen der „Begrenzung“ auf einen Tag kritisiert. Die einen 
halten dies für eine Begrenzung der Kampfkraft und Dynamik der 
Arbeiterklasse, andere halten diese Zeitvorgabe für willkürlich und 
unverständlich.
Der Klassenkampf ist eine ernst Sache. Jede ergriffene Kampfmaßnahme hat 
Folgen für den weiteren Verlauf  von Auseinandersetzungen. Deshalb muss 
mit Kampfvorschlägen verantwortlich umgegangen werden. Es ist nicht 
willkürlich, einen eintägigen Generalstreik statt eines vierstündigen 
oder statt eines unbegrenzten vorzuschlagen.
Ein ganzer Tag ist das Minimum, um alle Lohnabhängigen an einem Streik 
zu beteiligen. Um eine wirkliche Einheit im Kampf herzustellen sind 24 
Stunden das Mindeste. Gleichzeitig wäre ein eintägiger Generalstreik ein 
sehr großer Schritt für die deutsche Arbeiterbewegung. Er würde die 
gesellschaftliche Situation und das Kräfteverhältnis verändern. Die 
Arbeiterklasse würde ihre Macht erkennen und demonstrieren. Ein solcher 
Streik wäre in der gegenwärtigen Situation nicht das letzte Wort in der 
Auseinandersetzung gegen den Sozialkahlschlag, aber ein großes erstes Wort.
Das Argument, dass eintägige Streiks in anderen Ländern zum „Dampf 
ablassen“ von der Gewerkschaftsführung missbraucht werden, gilt für 
Deutschland nicht. Denn hier wäre ein eintägiger Generalstreik ein 
gwaltiger Schritt nach vorne für die Arbeiterbewegung.
Auf der anderen Seite würde ein unbegrenzter Generalstreik Fragen 
aufwerfen, die die Arbeiterklasse in ihrer jetzigen Verfassung nicht 
beantworten könnte. Ein unbegrenzter Generalstreik verlangt ein hohes 
Maß der Selbstorganisation, um die Gesellschaft unter Kontrolle der 
Streikenden zu organisieren – Notdienste, Versorgung etc. Ein solcher 
Streik stellt unweigerlich die Frage, wer die Macht im Lande hat. Ist 
die Arbeiterklasse nicht darauf vorbereitet, diese Frage positiv zu 
beantworten, wäre es abenteuerlich einen unbegrenzten Generalstreik 
auszurufen (abgesehen von Situationen in denen z.B. ein Militärputsch 
abgewehrt werden muss) und würde eine Niederlage absehbar sein.
Einem eintägigen Generalstreik können natürlich weitere Kampfmaßnahmen – 
zwei- oder dreitägige Streiks oder Streiks bestimmter Branchen – folgen, 
um die Auseinandersetzung zu eskalieren.

Verpasste Chancen

Die Massendemonstration vom 1. November und die vielfachen 
Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegen Sozialabbau und zur 
Verteidigung der Tarifautonomie hätten im November und Dezember eine 
gute Grundlage für eine Eskalation der Kämpfe und für eine Kampagne für 
einen eintägigen Generalstreik geboten. Leider waren es nur die Kasseler 
Gewerkschaften, die am 9. Dezember einen branchenübergreifenden 
stadtweiten Demonstrationsstreik ausgerufen haben, dem 7.000 KollegInnen 
aus der Privatindustrie und dem öffentlichen Dienst gefolgt sind. Hätte 
dies auch in anderen Industrieregionen stattgefunden, hätten die 
Gewerkschaftsspitzen zu weitergehenden Kampfmaßnahmen gezwungen werden 
können. Hätten die dominierenden Kräfte des Bündnisses, das die 
Demonstration vom 1. November getragen hat (verschiedene 
gewerkschaftliche Gliederungen, Attac, Erwerbslosengruppen, Sozialforen, 
diverse linke Organisationen) schnell nach der Demonstration weitere 
Schritte von unten ergriffen und eine Kampagne innerhalb der 
Gewerkschaften gestartet, hätte die Dynamik der Protestbewegung 
fortgesetzt werden können. Stattdessen wurden Chancen vergeben. Es wurde 
keine wirklich aktionsorientierte, gemeinsame und zeitnahe Konferenz 
nach dem 1.11. organisiert, die weitere Schritte hätte beschließen 
können. So wurde zugelassen, dass die Gewerkschaftsführungen mit den 
Aktionen zur Verteidigung der Tarifautonomie und der Festlegung der 
Aktionstage vom 2. und 3. April 2004 die Initiative wieder an sich 
reißen konnten. Beides ist ein Erfolg der Bewegung. Es ist aber ein 
Fehler, sich darauf „auszuruhen“. Der Druck auf die 
Gewerkschaftsführungen hätte organisiert verstärkt werden müssen. Wie 
wäre das möglich gewesen? Zum Beispiel dadurch, dass man einen Appell 
für einen eintägigen Generalstreik gegen die Agenda 2010 in den 
Gewerkschaften verbreitet hätte und auf allen Ebenen Anträge dafür 
eingebracht hätte. Des weiteren dadurch, dass zusätzlich zu den 
offiziellen Protesten Aktionen und Arbeitsniederlegungen vor Ort (wie in 
Kassel) organisiert worden wären bei denen die Forderung nach 
Zusammenfassung der Kämpfe aufgestellt worden wäre. Eine zeitnahe 
Aktionskonferenz nach dem 1.11. hätte einen dezentralen Streik- und 
Protesttag ausrufen können, um örtliche Aktionen zu bündeln. Auf dieser 
Basis hätte die Konferenz vom 17. und 18. Januar, an der ca. 500 Aktive 
teilgenommen haben zu einer viel größeren Veranstaltung von 2.000 oder 
mehr werden können. Dann hätten qualitativ breitere Schichten zu einer 
solchen Konferenz mobilisiert werden können.
Timing ist ein wichtiger Faktor im Klassenkampf und beim Aufbau von 
Bewegungen. Der schematische Gedanke „je mehr Vorlaufzeit man hat, desto 
erfolgreicher können Mobilisierungen sein“ ist falsch. Bewegungen haben 
ihre eigenen Entwicklungsgesetze und Dynamiken. Die Dynamik vom November 
und Dezember wurde verloren –weil die Gewerkschaftsführungen nur Dampf 
ablassen wollten und sich mit der vorläufigen Entscheidung der 
Bundesregierung die Tarifautonomie nicht anzutasten zufrieden gegeben 
haben und weil die dominierenden Kräfte im Bündnis für den 1. November 
keine entschlossenen Initiativen ergriffen haben.

Metalltarifrunde, 2. April und aktueller Umgang mit der Generalstreik-Losung

Die Situation hat sich im Vergleich zum November und Dezember verändert. 
Die Zahl der Mobilisierungen ist im Januar zurückgegangen und die 
Studierendenbewegung hat ihren Zenit überschritten. Das bedeutet nicht, 
dass sich die Stimmung und die Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse 
geändert haben und ein baldiger Aufschwung von Kämpfen nicht möglich 
wäre. Es bedeutet nur, dass die Wut und die Kampfbereitschaft zur Zeit 
einen weniger verallgemeinerten Ausdruck finden. Dies kann sich schnell 
verändern, abhängig von Ereignissen und Angeboten zu Protesten (so haben 
z.B. 30.000 Beschäftigte und SchülerInnen von Privatschulen gegen 
Kürzungen demonstriert, viele tausend BKA-Beschäftigte gegen die 
Verlegung ihrer Zentrale und planen Gewerkschaften in NRW für den 31.1. 
eine landesweite Demonstration). Vor allem der Verlauf der 
Metalltarifrunde  kann eine große Klassenauseinandersetzung einleiten. 
Eine solche hätte gewaltige Auswirkungen auf alle Gewerkschaften und auf 
die sozialen Protestbewegung insgesamt. Die Frage von 
Solidaritätsaktionen und -streiks würde aufkommen. Aber erst einmal hat 
die Dynamik der Bewegung vorübergehend nachgelassen. Dies ist in erster 
Linie die Verantwortung der Gewerkschaftsspitzen, aber auch der linken 
GewerkschafterInnen, der Attac-Führung und anderer ProtagonistInnen der 
sozialen Bewegungen, die aufgrund ihrer Skepsis gegenüber der 
Arbeiterklasse eine zu vorsichtige Strategie eingeschlagen haben. Das 
ändert jedoch nichts daran, dass eine aufsteigende Kurve von 
Klassenkämpfen gibt und die Perspektive auf weitere Streiks und 
Massenmobilisierungen besteht.
Das macht die Losung für einen eintägigen Generalstreik in der jetzigen 
Situation nicht falsch, aber sie ist oftmals schwieriger zu vermitteln. 
Wenn die Gewerkschaftsführungen wollten, könnten sie einen solchen 
innerhalb weniger Wochen organisieren. Der Druck von unten ist aber im 
Moment – nicht zuletzt aufgrund der falschen Einstellung vieler linker 
AktivistInnen, die notwendige MultiplikatorInnen einer solchen 
Kampfforderung in der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften wären – 
nicht in erster Linie für einen eintägigen Generalstreik aufzubauen. 
Deshalb wird die SAV in den nächsten Wochen nicht die Losung nach einem 
eintägigen Generalstreik in den Vordergrund stellen, sondern unter dem 
Motto „2. April: gemeinsam streiken! 3. April: gemeinsam demonstrieren“ 
agieren.  Denn die unmittelbaren Aufgaben sind:
1.Eine kämpferische Tarifrunde in der Metallindustrie zu erreichen und 
einen faulen Kompromiss bzw. ein Einknicken der IG Metall-Führung zu 
verhindern.
2.Den von der Aktionskonferenz ausgerufenen betrieblichen Aktionstag am 
2. April in möglichst vielen Betrieben und Städten zu einem Streiktag zu 
machen.
3.Die Demonstrationen am 3. April zu wirklichen Massendemonstrationen zu 
machen, deren Beteiligung den 1. November 2003 deutlich übersteigt und 
nicht zuzulassen, dass die Gewerkschaftsführungen daraus unpolitische 
Volksfeste machen, sondern sie politisieren und auf ihnen die Losung für 
einen eintägigen Generalstreik als nächsten Schritt aufzuwerfen.
Auf diese Aufgaben müssen die Kräfte der kritischen und kämpferischen 
Kräfte in den Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen konzentriert 
werden. Dazu müssen unabhängige Initiativen von unten ergriffen werden. 
Also:
Mobilisierungen von unten in den Metallbetrieben. Überall 
Informationsveranstaltungen und Betriebsversammlungen dazu durchführen. 
Die geplanten Warnstreiks zu Vollmobilisierungen der Belegschaften 
nutzen. Eine Urabstimmung für einen Vollstreik zur Durchsetzung der vier 
Prozent Lohnerhöhung und zur Abwehr jeglicher Arbeitszeitverlängerung 
einfordern und erkämpfen.
In allen Städten branchenübergreifende Vertrauensleutekonferenzen 
einfordern und durchführen, die für den 2. April Arbeitsniederlegungen 
und Demonstrationen während der Arbeitszeit beschließen.
Eine unabhängige Mobilisierung des Bündnisses vom 1. November und der 
Gewerkschaftslinken für die Demonstrationen am 3. April – unter eigenen 
Losungen und mit Kritik an der Politik der Gewerkschaftsspitzen 
verbunden. Gewerkschaftslinke müssen auf allen Ebenen in den 
Gewerkschaften für kämpferische Aufrufe zu der Demonstration eintreten 
und wirkliche Mobilisierungskampagnen durchsetzen. Bei den 
Demonstrationen die Bildung von kämpferischen Blöcken unter der Parole: 
„Agenda 2010 und allen Sozialkahlschlag stoppen! Ran an die Profite der 
Banken und Konzerne! Nächster Schritt: eintägiger Generalstreik!“

Sascha Stanicic, 30.1.2004




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