Die neuen Kolonien<BR><BR>Das Internet macht das Wissen der Menschheit auch für breite <BR>Bevölkerungsschichten und arme Länder verfügbar. Aber die Medien- und <BR>Informationsindustrie betrachtet diesen Reichtum als ihr privates <BR>Eigentum, <BR>das sie schützen und vermarkten will<BR><BR>von DIETMAR KAMMERER<BR><BR>Wissen ist nicht nur Macht - es ist vor allem klingende Münze geworden. <BR>Die <BR>Copyrightindustrie gilt heute als der größte Exporteur der USA, Patente <BR>auf <BR>Software, Medikamente und gentechnisch veränderte Lebensmittel <BR>bescheren <BR>ihren Inhabern Milliardenumsätze. Intellectual Property, Denken als <BR>Eigentum, <BR>ist zu einer zentralen Ressource geworden. Die viel beschworene <BR>"Wissensökonomie" verändert jedoch nicht nur unseren Begriff vom Wissen <BR>(Wissen wird warenförmig, wird kommodifiziert). Sie sollte vor allem zu <BR>einer <BR>neuen Vorstellung von Ökonomie selbst führen: weg von einer Lehre von <BR>der <BR>Verteilung der Knapphe
 it, hin zum Austausch, Erwerb und der Vermehrung <BR>von <BR>Wissen. So jedenfalls das Fazit einer Konferenz der <BR>Heinrich-Böll-Stiftung, <BR>die vergangenen Freitag einen Blick auf die "Zukunft der globalen Güter <BR>in <BR>der Wissensgesellschaft" wagte.<BR><BR>Aus der Zukunftsperspektive könnte ein Nachruf werden: Setzt sich die <BR>Rechteverwertungsindustrie durch, droht der Bestand öffentlich <BR>zugänglicher <BR>Informationen ("public domain") zur Marginalie zu werden. Eine <BR>"umfassende <BR>Landnahme" finde im Übergang von der Print- zur Digitalkultur statt, <BR>warnte <BR>Andreas Poltermann, Referent für Bildung und Wissenschaft der <BR>Böll-Stiftung, <BR>in seinem einleitenden Statement. Das neue Copyrightregime, so seine <BR>Analyse, <BR>funktioniere nach den alten Prinzipien des Kolonialismus: Nicht nur <BR>werden <BR>die "Schrankenbestimmungen", Schutzrechte der Endnutzer, die sich im <BR>Umgang <BR>mit Musikwerken, Texten, Bildern auf gesetzlich garantierte
 n fair use <BR>(etwa <BR>das Kopieren für den privaten Gebrauch) berufen konnten, durch <BR>technische <BR>Maßnahmen faktisch ausgehebelt. Auch viele Bereiche, die bislang völlig <BR>unreguliert waren, werden durch ein umfassendes Digital Rights <BR>Management <BR>eingezäunt. Selbstverständliche kulturelle Praktiken - das Lesen und <BR>Verleihen von Büchern, die Mixkassette für die Freundin - könnten somit <BR>bald <BR>der Vergangenheit angehören.<BR><BR>Gegen die von der Content-Industrie verbreitete Schreckensmär von <BR>volkswirtschaftlichen Verlusten in Milliardenhöhe durch <BR>Copyrightpiraterie <BR>drehte Poltermann den Vorwurf um: "Rigide Systeme zum Schutz des <BR>geistigen <BR>Eigentums sind eine Form von Plünderung öffentlicher Ressourcen." Was <BR>allen <BR>gehört - Kultur, Bildung, Tradition - kann nicht von wenigen besessen <BR>werden. <BR>Ökonomen wie Paul Romer oder der Nobelpreisträger Douglas North, <BR>Anhänger der <BR>New Growth Theory, fordern deshalb sch
 on lange, nicht die privaten <BR>Verwertungsinteressen einiger weniger, sondern das Gesamtbild zu sehen. <BR>Ihr <BR>Argument: Wird das Innovationssystem der Wissensgesellschaft <BR>geschwächt, wird <BR>auch die Technologieentwicklung behindert. Dann drohen <BR>gesamtwirtschaftliche <BR>Verluste.<BR><BR>Selbstmord des Systems<BR><BR>Auf der Konferenz gaben sich die Experten jedoch erstaunlich <BR>optimistisch: "In <BR>spätestens 30 bis 40 Jahren", sagt Bernd Lutterbeck voraus, <BR>Wirtschaftsinformatiker der TU Berlin, "wird das System implodieren." <BR>Denn <BR>bis heute gebe es keinen Beweis, dass die staatlich garantierten <BR>Wissensmonopole - Patente und Copyright - das halten, was sie <BR>versprechen: <BR>Innovationen in der Forschung anzuregen, den Austausch von Wissen zu <BR>befördern, die Teilhabe aller an Kultur, Bildung und Wissenschaft zu <BR>ermöglichen. Und da selbst große Unternehmen - Lutterbeck führte als <BR>Beispiel <BR>die Softwarefirma SAP an - öffentlic
 h zugeben, dass sie ihre <BR>Marktposition <BR>nicht durch die künstlichen Schutzfristen der Patente, sondern nur <BR>durch <BR>ständigen Innovationsvorsprung erreicht haben, lautete sein Fazit: "Die <BR>jetzigen Gefechte sind die letzten Gefechte eines sterbenden Systems."<BR><BR>Auch sein Kollege Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz gab als <BR>Parole <BR>Geduld und Zuversicht aus. "Eine nichtproprietäre Wissensökonomie wird <BR>sich <BR>durchsetzen", sie sei die den "elektronischen Räumen" einzig <BR>angemessene <BR>Form. Die künstliche Verknappung hingegen, die das <BR>Intellectual-Property-Regime einführt, eigne sich nicht für eine <BR>Politik des <BR>nachhaltigen Umgangs mit Wissen und kultureller Tradition.<BR><BR>So lange kann aber niemand warten. Ende Dezember will der Bundestag den <BR>Regierungsentwurf für das neue Urheberrechtsgesetz verabschieden. Dann, <BR>so <BR>die Initiative "Rettet die Privatkopie" (www.privatkopie .net) werden <BR>erstmals technische
  Maßnahmen über Verbraucherschutz gestellt. Zwar <BR>weitet <BR>der Gesetzentwurf das Recht, "Vervielfältigungen eines Werkes zum <BR>privaten <BR>Gebrauch" anzufertigen, auf "beliebige Träger" aus (§ 53, Abs. 1), <BR>stellt <BR>jedoch technische Kontrollen, die prinzipiell jeden denkbaren Gebrauch <BR>von <BR>Urheberrechtswerken regulieren können, unter gesetzlichen Schutz. Die <BR>Privatkopie wird zugleich erlaubt und verhindert. Ein so umfassendes <BR>Digital <BR>Rights Management könnte das Ende des universal nutzbaren PCs bedeuten. <BR>Er <BR>wird ein reines Medienabspielgerät, das die Streaming-Server einer Hand <BR>voll <BR>globaler Medienkonzerne übers Internet beliefern.<BR><BR>Legale Plünderung<BR><BR>Die Global Player sind Spielverderber. Dabei geht es nicht darum, ob <BR>sich <BR>Hacker mit Breitbandzugang auch zukünftig die neueste "Star <BR>Wars"-Episode <BR>gratis aus dem Netz ziehen können. Zu den Leidtragenden gehören <BR>Bibliotheken <BR>und ihre Nutzer ebe
 nso wie Aidspatienten, die die Kosten für die <BR>Therapie <BR>nicht mehr aufbringen können, oder Landwirte in den <BR>Entwicklungsländern, die <BR>patentiertes Saatgut teuer einkaufen müssen. Dass ein umfassendes <BR>Patentsystem den armen Ländern wenig nützt, konnte man bisher schon <BR>vermuten. <BR>Eine von der britischen Regierung eingesetzte Expertenkommission, die <BR>im <BR>September ihren Bericht vorlegte, hat diese Befürchtungen nun <BR>bestätigt. Zwar <BR>gebe es Bereiche, in denen eine Politik des Schutzes geistigen <BR>Eigentums <BR>durchaus Fortschritt bedeute, räumt auch Kommissionsmitglied Daniel <BR>Alexander <BR>ein, der die Ergebnisse auf der Konferenz vorstellte. In den meisten <BR>Fällen <BR>jedoch sollten es sich Entwicklungsländern besser zweimal überlegen, <BR>wie hoch <BR>sie die Standards ihres Intellectual-Property-Regimes setzen. "Weniger <BR>Gesetze erlassen, vorsichtiger vorgehen", lautete die Empfehlung. Das <BR>Abkommen zum Schutz handelsrelev
 anter geistiger Eigentumsrechte <BR>(Trips), das <BR>Mindeststandards für den geistigen Eigentumsschutz in allen <BR>WTO-Mitgliedsstaaten gewährleisten soll, scheint Alexander jedenfalls <BR>nicht <BR>der geeignete Weg.<BR><BR>Aber ist das Urheberrecht nicht die einzige Einkommens- und <BR>Überlebensgarantie <BR>für die zahllosen freischaffenden Kreativen im Musik-, Film- oder <BR>Literaturbusiness? Auch von diesem Mythos wird man sich verabschieden <BR>müssen. <BR>Martin Kretschmer, Leiter des Centre for Intellectual Property Policy <BR>Management in Bournemourth, hat sich die Mühe gemacht, die Zahlen <BR>zusammenzutragen, und das Ergebnis ist bestürzend. Laut Kretschmers <BR>Recherchen erhalten achtzig Prozent der Mitglieder der Performing <BR>Rights <BR>Society (des britischen Pendants der Gema) für ihre Aufführungsrechte <BR>weniger <BR>als 1.000 Pfund monatlich; eine kleine Elite von 10 Prozent streicht <BR>dagegen <BR>den Löwenanteil von 90 Prozent der Gesamtausschüttu
 ngen ein. Ähnlich in <BR>Deutschland: Hier erhalten 5 Prozent der Gema-Mitglieder 60 Prozent der <BR>Zuwendungen. Das macht auf der Insel etwa 500, hier in Deutschland <BR>immerhin <BR>rund 1.500 Komponisten, die von der Verwertung ihrer Rechte leben <BR>können, <BR>schätzt der Rechtsexperte: Ein Autorenrecht ohne Autoren.<BR><BR> <A href="http://us.f411.mail.yahoo.com/ym/Compose?To=dietmar.kammerer@berlin.de&amp;YY=83299&amp;order=down&amp;sort=date&amp;pos=0&amp;view=a&amp;head=b">dietmar.kammerer@berlin.de</A><BR><BR>taz Nr. 6904 vom 14.11.2002, 247 Zeilen, DIETMAR KAMMERER <BR><p><br><hr size=1>Do you Yahoo!?<br>
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