<PRE><TT>Stuttgarter Zeitung vom 26.08.2002


Mit dem Wissen der Indianer ist viel Geld zu verdienen

Die Ureinwohner nutzen die Artenvielfalt des Urwalds nachhaltig -
was man von westlichen Unternehmen nicht immer sagen kann

In drei Tagen beginnt der UN-Gipfel in Johannesburg. In einer Serie
beleuchten wir die wichtigsten Themen. Die Artenvielfalt in den
Regenwäldern stellt eine gewaltige biologische Vorratskammer dar.
Die Ausbeutung verspricht Millionengewinne - und lässt Schäden
befürchten.

Von Wolfgang Kunath, Rio de Janeiro

Was Mike Kovach im Mai bei einer Autofahrt im Norden Perus
entdeckte, machte ihn sprachlos: "Es hat mich einfach umgehauen -
so ein tolles Ding! Mir blieb der Mund offen stehen", schildert der
Blumenzüchter aus Virginia seine Reaktion, als ihm eine
Indianerfamilie am Straßenrand eine Blume anbot, wie sie Kovach
noch nie gesehen hatte. Die magenta- und purpurfarbene
Einzigartigkeit, die Kovach den Einheimischen für 6,50 Dollar
abkaufte, trägt mittlerweile den Namen Phragmipedium kovachii,
und sie gilt als die spektakulärste Orchideen-Entdeckung der letzten
hundert Jahre. Ein paar Wochen nach Kovachs Schnäppchen war
der Hang, an dem hunderte der violetten Blumen wuchsen, wie leer
gefegt - und amerikanische Orchideenzüchter bekamen die Neuheit
unter der Hand angeboten, für 5000 Dollar pro Stück.

Der lächerliche Kaufpreis, der illegale Export in die USA, die
hektische wissenschaftliche Beschreibung und Benennung, die
gewaltigen Gewinnerwartungen - Phragmipedium kovachii ist ein
typischer Fall von Biopiraterie. Obwohl vor zehn Jahren auf dem
Umweltgipfel von Rio de Janeiro ein Abkommen über die biologische
Vielfalt verabschiedet wurde, das nicht nur Erhaltung und
nachhaltige Nutzung der Biodiversität, sondern auch die gerechte
Verteilung der Gewinne aus der Verwertung zum Ziel hat, ist
Biopiraterie nach wie vor gängige Praxis.

Schon dem deutschen Gelehrten Alexander von Humboldt schlug
Misstrauen entgegen, als er vor zwei Jahrhunderten in Brasilien
forschen wollte. Nicht draufgängerische Waldläufer, sondern
renommierte Wissenschaftler und angesehene Kolonialbeamte
haben sich am folgenreichsten als Freibeuter des Dschungels
betätigt. Wie zum Beispiel Sir Clements Markham und Robert Cross,
die nach langen Studien den südamerikanischen Kautschukbaum
Hevea brasiliensis als am besten geeignet identifizierten für den
Plantagenanbau in Südostasien. Die Verpflanzung brachte den
brasilianischen Kautschukboom binnen kürzester Zeit zum Erliegen.

Und heute sind es oft findige Anwälte, die im Auftrag von Pharma-
und Biotechnikfirmen bestimmte Wirkstoffe und deren kodierende
Gene patentieren lassen und damit eine exklusive Nutzung
beanspruchen - mitunter sogar von Substanzen, die seit
Menschengedenken von den Einheimischen gebraucht werden. Vor
allem die USA sind berüchtigt dafür. Das Biodiversitätsabkommen
wurde bisher von 175 Staaten unterzeichnet, die USA gehören nicht
dazu. Von einer Ratifizierung nicht zu reden.

Das Marktpotenzial, das die Bioreserven der Erde darstellen, lässt
sich seriös kaum berechnen. Aber unter den Bestsellern der
Pharmaindustrie finden sich genug frappierende Beispiele dafür, wie
sich mit der Natur das große Geld machen lässt. Captopril und seine
Derivate etwa: Das Mittel gegen Bluthochdruck, das weltweit jährlich
bis zu fünf Milliarden Dollar abwirft, basiert auf dem Gift der
brasilianischen Schlangenart Bothrops jararaca. Von den Pflanzen
des tropischen Regenwaldes gilt knapp jede dritte als medizinisch
verwertbar. Wie, das wissen oft die Einheimischen - doch wie deren
Kenntnisse zu honorieren wären, ist unklar.

Seriöse Unternehmen haben ein Interesse daran, den Zugang zu
Genressourcen zu regeln und angemessen zu bezahlen; niemand
mag sich als Biopirat brandmarken lassen. Auf der jüngsten
Vertragsstaatenkonferenz des Biodiversitätsabkommens in Den
Haag wurden entsprechende Verfahren beschlossen; danach muss
eine Firma die Behörden des jeweiligen Landes genau über das
Vorhaben informieren und sich mit ihnen über den finanziellen
Ausgleich einigen: Das können Gewinnbeteiligungen sein, aber auch
Entwicklungsprojekte sind denkbar. "Voraussetzung dafür ist, dass
Brasilien und die anderen Amazonas-Anrainer den interessierten
Firmen Ansprechpartner mit entsprechender wissenschaftlicher und
Management-Kompetenz anbieten können", sagt der deutsche
Professor Thomas Mitschein, der sich im brasilianischen Belém mit
nachhaltigen Nutzungsmöglichkeiten im Amazonasbecken
beschäftigt. Als "Schritt in die richtige Richtung bezeichnet Mitschein
die "Bioamazonicaä", ein Institut, das die Zusammenarbeit von
Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung bei der nachhaltigen
Nutzung der natürlichen Ressourcen Amazoniens vorantreiben soll.
In diesen Tagen nimmt es in Manaus einen neu gebauten
biotechnologischen Laboratoriumskomplex in Gebrauch.</TT></PRE><p><br><hr size=1>Do you Yahoo!?<br>
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