<PRE><TT>Text vom Sommer 2002
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<A href="http://wastun.org/tapestry?article=31" target=_blank>http://wastun.org/tapestry?article=31</A>
Biopiraterie: Wem gehört die Welt?
von Sönke Zehle
Die internationale Debatte über Biodiversität geht von einer
Krisensituation aus: auf der Ebene der Arten sowie der ihnen
entsprechenden Ökosysteme, aber auch innerhalb einzelner Arten
kommt es zu einem unwiederbringlichen Verlust der biologischen
Vielfalt, der über natürliche (evolutionäre) Prozesse weit hinaus geht.
Unterstützt durch biotechnologische Wirtschaftsinteressen, verengt
sich das Thema "Verlust biologischer Vielfalt" schnell auf eine Frage
der Ressourcenknappheit. Vor allem Kommerzialisierung und
Privatisierung über die Vergabe exklusiver Eigentumsrechte/Patente
sollen Verluste begrenzen, Schutzanreize schaffen,
Zugangsvoraussetzungen vereinheitlichen und vor allem die
Profitabilität von Forschungsinvestitionen langfristig absichern.
Traditionelle Naturschutzinteressen, die die kulturelle, soziale, und
wirtschaftliche Bestimmtheit von "Natur" ausgrenzen, tragen nicht
dazu bei, das Thema Biodiversität in seiner Komplexität
aufzuschlüsseln. Im Gegenteil: Der abstrakte, nicht zuletzt von
europäischen und US-amerikanischen UmweltschützerInnen lange
kultivierte Gegensatz von Natur und Kultur lebt auch in diesem
Konflikt weiter, Erbe jener Geschichte kolonialromantischer
Projektion, die im "Anderen" der Zivilisation vor allem ein sozial-
ökologisch intaktes Gegenbild der eigenen Wirklichkeit sehen wollte
und es oft in vermeintlicher Zeit- und Geschichtslosigkeit einfror.
Dieses Bild wird durch die Betroffenen immer wieder in Frage
gestellt, vor allem durch Mitglieder Indigener Völker, die sich in der
ihnen zugedachten Rolle als Hüter sozial-ökologischer
Ganzheitlichkeit allzu oft auf der Seite der "Natur" wiederfinden und
damit in einem Gegensatz zu Kultur und Moderne, der weder der
Komplexität ihrer Lebenszusammenhänge gerecht wird noch die
Zusammenhänge zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und
Forderungen nach kultureller, politischer und wirtschaftlicher
Selbstbestimmung verständlich machen kann.
Indigene fordern dazu auf, ihre Traditionen als eigenständige
Wissenssysteme zu begreifen, die kulturelle, ökologische, soziale,
religiöse und wirtschaftliche Elemente integrieren und so mehr zum
Erhalt biologischer Vielfalt beitragen können als Patentsysteme, die
diese Vielfalt als "Ressource" aus ihrer komplexen Bestimmtheit
herauszulösen versuchen und letztlich nur im Rahmen von
Markttransaktionen "schützen" können. Ihre Besinnung auf Tradition
ist nicht als Berufung auf die Unveränderlichkeit kollektiver
Identitäten zu verstehen, sondern als Einsicht in die Notwenigkeit
der aktiven Bewahrung und Weiterentwicklung des in diesen
Traditionen enthaltenen Wissens sowie Widerstand gegen die mit
Umweltzerstörung einhergehende Desintegration ihrer
Lebensgrundlagen.
Solange Biodiversität allerdings allein als zu erhaltende Ressource
oder Merkmal einer irgendwie außergeschichtlichen Natur, die es
"an sich" zu erhalten gilt, wahrgenommen wird, nicht aber als
komplex bestimmter Prozess mit einer Vielzahl von Akteuren,
werden weder die entsprechende Interessenvielfalt noch die
eigentlichen Verlustursachen Berücksichtigung finden.
Verlustursachen aus der Sicht Indigener Völker
Indigene Völker nehmen innerhalb des Konfliktfelds
Biodiversitätspolitik die wohl schwächste Position ein.
Widersprüchlichkeit und letztlich auch Unvereinbarkeit der in diesem
Konfliktbereich vertretenen Interessen werden aus ihrer Sicht
besonders deutlich.
Der Begriff "Indigene" bezieht sich keineswegs auf eine homogene
Gruppe sondern fasst weltweit etwa 300 bis 400 Millionen Menschen
nach verschiedensten Kriterien zusammen. Ein Großteil lebt in
Territorien, die allgemein als Zentren biologischer Vielfalt anerkannt
werden. Die Frage des Schutzes dieser Vielfalt muss also die Rolle
jener, die diese Vielfalt vor Ort bewahren, nachhaltig nutzen und
weiterentwickeln, in den Vordergrund stellen.
In Anlehnung an den englischen und französischen Sprachgebrauch
hat der Begriff "Indigene Völker" inzwischen problematischere
Bezeichnungen wie "Stammesvölker," "Ureinwohner" oder
"Naturvölker" ersetzt. Auch verstehen sich Indigene nicht generell
als "ethnische Minderheiten," da sie nicht ausschließlich in Bezug
auf die sie umgebenden Staaten wahrgenommen werden möchten
und zudem in einigen Ländern die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die
Bezeichnung "Indigene Völker" und die damit verbundene Forderung
nach Anerkennung indigener "Nationen" bezieht sich weniger auf die
europäische Definition der Nation als Staatsvolk als auf die
angloamerikanische Praxis, die die Gemeinsamkeit von Kultur,
Geschichte und Sprache ebenso hervorhebt wie eine traditionell
starke sozio-kulturelle Beziehung zu den jeweiligen Territorien. Auch
im Völkerrecht wird inzwischen der Begriff "Indigene Völker"
verwendet, selbst wenn sich die Sichtweise, die in vielen Texten
verankerten Rechte auf Selbstbestimmung auch auf Indigene zu
beziehen, noch nicht durchgesetzt hat.
Versuche, Indigene zu definieren, enden oft in der Einsicht, dass es
über eine allgemeine Definition ethnischer, sprachlicher,
geschichtlicher und kultureller Gemeinsamkeiten hinaus vor allem
auf Rechte der Selbstdefinition ankommt, die auch von der
Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einem
der bisher wichtigsten Texte in Bezug auf die Rechte Indigener, in
den Vordergrund gestellt werden. Im Kontext der Biodiversitätspolitik
bestehen Indigene VertreterInnen vor allem auf den engen
Zusammenhang zwischen Gesellschafts- und Naturverständnis und
geben der Spiritualität eine zentrale Rolle: der Interdependenz aller
Lebensformen, der Verpflichtung zur Nachhaltigkeit auch gegenüber
zukünftigen Generationen, der Einbettung traditionellen
Umweltwissens in soziale und religiöse Praktiken und damit dem
Zusammenhang biologischer, kultureller, und sprachlicher Vielfalt.
Aus der Sicht Indigener ist der Verlust biologischer Vielfalt vor allem
Folge einer radikalen Transformation sozialer und ökologischer
Zusammenhänge. Erst die enge Verknüpfung von Kolonial- und
Umweltgeschichte macht deutlich, dass es sich hierbei keineswegs
um ein Phänomen der Gegenwart handelt: Der Rohstofftransfer und
damit auch der Transfer biologischen Materials nahm mit der
Kolonialexpansion Europas ebenso seinen Anfang wie Versuche zur
vermeintlichen "Zivilisierung" und "Modernisierung" Indigener im
Namen verschiedenster Religionen und Ideologien. Gigantische
Staudammprojekte, Erzabbau und Ölgewinnung, Waldrodungen zur
Anlage von Rinderfarmen oder die agrartechnologische
Transformation kleinbäuerlicher Landwirtschaft im Zuge der Grünen
Revolution, also der staatlich geförderten Umstellung traditioneller
Landwirtschaft auf den betriebsmittel- und lohnarbeitsintensiven
Anbau sogenannter Hochertragssorten, haben ihre Spuren in einer
"Natur" hinterlassen, deren Schätze schon vor Jahrhunderten Objekt
der Begierde verschiedenster Eroberer waren.
Ex Situ Sammlungen und Bauernrechte
Heute beherbergen die Botanischen Gärten in London und Berlin,
deren Sammlungen im Zuge ausgedehnter Kolonialexpeditionen
immer weiter anwuchsen, einen Großteil der bekannten
pflanzengenetischen Ressourcen. Im Zuge der Grünen Revolution
wurden von Staaten und Konzernen aus den Düngemittel- und
Saatgutindustrien in vielen Ländern des Südens Internationale
Agrarforschungszentren eingerichtet, die in Gen-und Saatgutbänken
einen weiteren Teil dieser für die Nahrungsmittelproduktion
wichtigen Ressourcen aufbewahren. Der Status dieser sogenannten
"ex situ" Bestände ist umstritten und gilt als zentraler
Konfliktbereich
innerhalb der Biodiversitätspolitik. Indigene setzen sich zusammen
mit anderen Organisationen dafür ein, dass möglichst viel des hier
gelagerten Materials über die Schaffung einer Art "Public Domain"
auch weiterhin verfügbar bleibt und nicht über Erteilung
kommerzieller Patente die Kosten der Nahrungsmittelversorgung vor
allem im globalen Süden in die Höhe treibt.
Von Indigenen über Jahrhunderte domestizierte und
weiterentwickelte Nutzpflanzen wurden auch in unseren Breiten
eingeführt, selbst in den neuesten Schöpfungen kommerzieller
Saatgutproduzenten finden sich Spuren dieser Geschichte. Die
Ironie dieser Entwicklungen ist kaum zu übersehen: während schon
in den 60er Jahren Mechanismen zum Schutz kommerzieller
Saatgutpatente geschaffen wurden, deren Gültigkeit jetzt über die
Protokolle der Welthandelsorganisation internationalisiert werden
soll, gibt es nach wie vor keine Möglichkeit, vergleichbare
Leistungen Indigener in der Domestizierung, Bewahrung,
nachhaltigen Nutzung und Weiterentwicklung entsprechend
anzuerkennen. Dieser zweite Konflikt taucht als Frage der
"Bauernrechte" in der Biodiversitätsdebatte auf. Lösungsansätze
sind nicht zuletzt deshalb schwierig, weil sich eine moralische
Anerkennung dieser anonymen, kollektiven Entwicklungsprozesse
kaum in die Sprache und Mechanismen der Eigentumsrechte
umsetzen lässt. Daher gibt es seit einigen Jahren den Versuch,
diese Rechte in Form eines Anspruchskatalogs auszudifferenzieren
und zum Beispiel im Rahmen des 1996 beschlossenen "Globalen
Aktionsplans" Aktivitäten zu unterstützen, die nachweislich zu Schutz
und Weiterentwicklung biologischer Vielfalt beitragen. Außerdem
wird versucht, Kollektivrechte (sogenannte "traditional resource
rights") als Alternativen innerhalb des Eigentumsrechts
auszuarbeiten.
Die Konvention über Biologische Vielfalt
Die 1992 in Folge des Erdgipfels beschlossene Konvention über
Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) räumt
dagegen der Rolle Indigener im Biodiversitätsprozess einen
zentralen Stellenwert ein. Obwohl die CBD sowohl die Frage nach
dem Status der "ex situ" Bestände wie die der Bauernrechte
ausklammert, die noch immer Gegenstand von Verhandlungen im
Rahmen der Internationalen Organisation für Landwirtschaft (Food
and Agriculture Organization, FAO) sind, werden die Rechte
Indigener in mehreren Artikeln differenziert und anerkannt. Die
Bestimmungen der CBD lassen sich durchaus in einem Sinne
auslegen, der die Menschenrechte Indigener in den Vordergrund
stellt. Beobachter wie die UN sind sich allerdings bewusst, dass die
Umsetzung von Menschenrechten mit der Verbreitung und
Standardisierung von Eigentumsrechten im Rahmen der
Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO)
durchaus im Widerspruch steht, und fordert eine entsprechende
Anpassung der betreffenden Abkommen an
Menschenrechtsstandards.
Widerspruch CBD -­ Intellektuelle Eigentumsrechte
Die CBD bestätigt, wie im internationalen Recht üblich, die
Staatssouveränität über alle Ressourcen auf eigenem Territorium. In
Abwesenheit eines multilateralen Ansatzes werden viele Staaten
daher bilaterale Vereinbarungen zur Regelung des Zugangs zur
biologischen Vielfalt auf ihrem Gebiet treffen und die Interessen
Indigener weiterhin denen des Staates, der sie umgibt, unterordnen.
Daneben steigt der internationale Druck auf Länder im Süden, die
vor allem im Norden entwickelten Eigentumsrechte anzuerkennen
und umzusetzen, letztlich also Instrumente zu schaffen, die den
Biodiversitätsverlust weiter fördern.
Ein wichtiges Beispiel betrifft die Anerkennung biotechnologischer
Patente auf Nahrungsmittelpflanzen. Schon die Grüne Revolution
hat durch den enormen Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, und
standardisiertem kommerziellem Saatgut zu einer radikalen
Transformation traditionell nachhaltig bewirtschafteter Ökosysteme
geführt und die enorme Vielfalt traditioneller Sorten, unersetzliches
Reservoir für die Weiterentwicklung von Nutzpflanzen, stark
reduziert. Darüber hinaus haben kurzzeitig erhöhte Erträge zwar
Phasen der Selbstversorgung ermöglicht, die sich aber aufgrund der
zunehmenden Verschuldung der Kleinbauern sowie zunehmender
Abhängigkeit von Düngemittel- und Pestizidimporten weder
ökologisch noch wirtschaftlich als nachhaltig erwies.
Es verwundert daher nicht, dass dieselben Konzerne, die vor
Jahrzehnten diese "Revolution" auch als vermeintliche Antwort auf
soziale Unruhen unterstützten, heute nach neuen Möglichkeiten
suchen, kommerzielles Saatgut am Markt zu etablieren. Da in vielen
traditionellen Landwirtschaften Saatgut gesammelt und in komplexe
soziale Zusammenhänge eingebettet ist, muss ein solcher Markt
vielfach erst geschaffen werden. Dies wiederum kann nur dann
geschehen, wenn der Nachbau, traditioneller Mechanismus der
Bewahrung biologischer Vielfalt, durch die Einrichtung kommerzieller
Patente kriminalisiert wird. Dazu kommt die gentechnische
Modifizierung des Saatguts durch sogenannte "Genetic Use
Restriction Technologies" (GURT), von KritikerInnen auch
Terminator-Technologien genannt, die die Funktion bestimmter
Pflanzenmerkmale wie zum Beispiel die Keimfähigheit von externen
biochemischen Katalysatoren abhängig machen. Patentrechtlich
geschütztes Saatgut kann also nur dann keimen, wenn ein
entsprechendes Präparat gespritzt wird und diese Fähigkeit wieder
herstellt.
Damit zeigt sich auch, dass kommerzielle biotechnologische
Verfahren nicht als Antwort auf die drängenden Probleme von
Hunger und Mangelernährung gewertet werden können. Angebliche
Hochertragssorten können aufgrund ihres betriebsmittelintensiven
Anbaus eben nicht nachhaltig angebaut werden -­ kurzfristigen
Ertragssteigerungen stehen enorme Kapital- und Umweltkosten
gegenüber, abgesehen von der durch eine zunehmende
Exportorientierung bedingten Homogenisierung der tatsächlich
angebauten Nutzpflanzen, die oft nicht mehr zur Grundversorgung
der Lokalbevölkerung zur Verfügung stehen. Selbst der
medienwirksam lancierte "Golden Rice," eine mit Vitamin A
angereicherte Hochertragssorte, kann kaum als ernst gemeinte
Antwort auf die Probleme von Hunger und Unterernährung gewertet
werden. Die Pflanze soll zwar angeblich frei verfügbar bleiben, wird
aber durch die enorme Anzahl gleichzeitig angemeldeter
Nutzpflanzenpatente als PR-Aktion zur Imageverbesserung einer
unter starkem Druck stehenden Industrie relativiert. Darüber hinaus
hängt Mangelernährung, Ergebnis eines komplexen Prozesses
sozialer und ökologischer Umwälzung, mit dem Verschwinden
traditioneller Anbaumethoden und der entsprechend geförderten
Vielfalt zusammen und lässt sich durch die Verabreichung einzelner
Wirkstoffe kaum in seinen Ursachen bekämpfen.
Selbstbestimmung und Solidarität
Sympathien für Regionalismus, Subsistenzwirtschaft und kulturelle
Differenz sind zuweilen schwer abzugrenzen von der kulturalistisch-
rassistischen Sprache jener, die den vermeintlichen Zusammenhang
von Volk und Raum nur bestätigen können, allgemeine kulturelle
Homogenisierung beklagen und Prinzipien der Selbstbestimmung
überhaupt auf alle ethnischen Minderheiten angewendet sehen
wollen.
Es ist also wichtig, dass sich die Sprache der Solidarität mit den
Anliegen Indigener von der völkischen Sprache ethnischer
Chauvinismen distanziert. Das kann sie, indem sie darauf verweist,
dass das Problem des Biodiversitätsverlusts letztlich auch
eingebettet bleiben muss in eine allgemeine Kritik der
Ressourcenprivatisierung, der zunehmenden Dominanz bio- und
agrartechnologischer Interessen in unserer
Nahrungsmittelversorgung, sowie der Verletzung von
Menschenrechten in Namen jener Entwicklungen und
Modernisierungen, auf die wir angewiesen bleiben, weil unser
Lebensstil von billiger Energie und billigen Rohstoffen abhängt. Statt
sich für eine Bewahrung isolierter Territorien sozial-ökologischer
Ganzheitlichkeit einzusetzen, gilt es, diese gegenseitige
Abhängigkeit im Namen einer allgemeinen Menschenrechtspolitik in
den Vordergrund zu stellen.
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